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Friesisch Roulette

Friesisch Roulette

Titel: Friesisch Roulette
Autoren: Marvin Entholt
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ungleichen Wettkampf, zugegeben.
    Die Pappeln neben dem Haus rauschten. Johann schloss die gewohnte Wette mit sich selbst ab, richtete den Blick gen Himmel und war zufrieden: Die Intensität des Laubgeräusches hatte ihn die Windgeschwindigkeit richtig einschätzen lassen. Die Wolken jagten flach über ihn hinweg, die helle untere Schicht schneller als die obere, Nordwest fünf bis sechs, und er wusste genau, wie viel Kraft er würde aufwenden müssen, um an den Deich zu kommen. Lästig, aber es musste ja sein.
    Er schwang sich aufs Fahrrad, in der alten Satteltasche das Küchentuch mit dem Revolver. Kaum kam er aus der Deckung des Hauses, spürte er den Nordwest fünf bis sechs schon in seinen Waden.
    Er radelte in den Feldweg Richtung Jümme-Deich. Einmal rechtsrum, dann ging es geradeaus. Irgendjemand kam ihm in der Ferne entgegen. Viele Möglichkeiten, wer das sein konnte, gab es nicht. Neben Johanns Hof lagen östlich von Merschmoor nur drei andere Gehöfte.
    Johann hatte ein paar Minuten gegen den Nordwest fünf bis sechs angetreten, als er erkannte, dass es die Ahlers war, die ihm auf ihrem Rad entgegenkam. Ausgerechnet, dachte Johann, die schwatzt immer, dass einem die Ohren bluten. Er überlegte kurz, ob er umkehren oder auf irgendeine Weide abbiegen und Arbeit vortäuschen sollte, aber es gab kein Entrinnen, der Weg führte stur geradeaus, links ein kleiner Graben, rechts der Elektrozaun mit Kühen dahinter.
    Zu lange überlegt, die Ahlers hatte ihn schon erreicht und steuerte so auf Johann zu, dass er anhalten und absteigen musste. Er ahnte, dass Wilmine ihn nicht sonderlich mochte und für einen seltsamen Eigenbrötler hielt, vermutlich, weil sie seine Reserviertheit spürte. Doch ihr Drang, draufloszuplappern und neuen Tratsch zu verbreiten, siegte über jegliche Befindlichkeit.
    Ob er denn schon gehört habe, dass beim Siedenbiedel eingebrochen worden sei, dass die Polizei schon da war und man noch gar nicht wisse, was denn alles gestohlen worden sei. Dabei hätten sie doch gerade erst das Geschäft renoviert. Die arme Meta Siedenbiedel, und so ein Durcheinander im ganzen Laden, furchtbar.
    Johann ließ den Redeschwall über sich ergehen, und als Wilmine Ahlers wegen allmählich einsetzender Schnappatmung Luft holen musste, brummte Johann ein »Tja, denn ’nen schönen Tach noch«, schwang sich aufs Rad und umkurvte die irritierte Wilmine Ahlers, die erst einen Bruchteil ihres Tratschvorrats losgeworden war.
    Sowenig Johann das Geplappere von der Ahlers sonst interessierte, der Bericht vom Einbruch bei Siedenbiedel brachte ihn jetzt doch zum Nachdenken. War der Siedenbiedel nicht eine mögliche Erklärung für das » H . S .« auf dem kleinen Karozettel gewesen? Aber was würde das dann bedeuten? Sollte der gute alte Heinrich Siedenbiedel den Einbrecher überrascht, mit einem Revolver niedergestreckt und dann mit dem Auto zu Johann verfrachtet haben, um die Spuren zu verwischen? Ausgeschlossen! Oder etwa nicht?
    Mittlerweile hatte Johann den Flussdeich erreicht. Eine kleine Gruppe Fahrradfahrer in grellbunten Jacken kam ihm entgegen, alle leicht über ihre Lenker gekrümmt. Einer brüllte seinen Mitradlern etwas zu. Sein Ruf blieb unerwidert.
    Milchschafe arbeiteten sich am Deichhang grasend synchron gegen den Wind vor. Der Nordwest zauste an ihrem Fell.
    Johann lehnte sein Fahrrad an die Böschung, nahm die eingewickelte Pistole und stieg deichan, in Gedanken noch immer in Siedenbiedels Reich aus Gartenscheren, Fonduebesteck, Schrauben, Glühbirnen und Teegeschirr. Selbst Lebensmittel gab es in dem Krämerladen. Eine Spitzen-Mettwurst.
    Johann versuchte, sich einen Gegenstand auszudenken, den es bei Siedenbiedel nicht gab, und ihm fiel zunächst nichts ein. Ehrgeizig darauf konzentriert, dem Kaufmann doch eine Lücke in seinem Sortiment nachweisen zu können, warf Johann die eingewickelte Pistole in weitem Bogen ins Wasser.
    Teewurst!, triumphierte Johann innerlich. Teewurst gab es nicht beim Siedenbiedel. Mettwurst ja, aber Teewurst nein.
    Dass es vielleicht nicht so eine gute Idee gewesen war, die Waffe in seinem alten Küchentuch wegzuwerfen und auch nicht an die Gezeiten zu denken, die hier bis in den Flusslauf spürbar waren, daran dachte Johann in diesem Moment nicht.

3
    Nicolaj trat fluchend gegen den Kotflügel. Heute lief wirklich alles gründlich schief. Ach was, nicht nur heute,
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