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Friesenkinder

Friesenkinder

Titel: Friesenkinder
Autoren: Sandra Duenschede
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Zuständigkeitsbereich eine Leiche gab. Was relativ selten vorkam. Aber wenn der Leichenfund über die 110 reinkam, dann erfuhren die Husumer meist vor ihm, was in seinem Bereich passiert war.
    »Moin, Dirk«, begrüßte ihn Lorenz Meister von der Kripo.
    »Moin, na, was gibt’s?«, fragte Thamsen ohne Umschweife. Wenn es tatsächlich einen Leichenfund gab, war jede Minute kostbar.
    »Wir haben einen Anruf aus Ladelund. Ein Jogger hat eine Leiche vor dem Gedenkstein der KZ-Stätte gefunden. Kannst du das übernehmen?«
    Er wusste, warum die Kollegen ihn persönlich baten. Immerhin war eine Leiche an solch einem geschichtsträchtigen Ort ziemlich heikel. Das würde auf jeden Fall für ordentlichen Wirbel in der Presse sorgen. Ohne Frage war der Fall allein deshalb Chefsache.
    »Klar. Mach mich sofort auf den Weg.«
    Als Thamsen etwa 20 Minuten später mit drei weiteren Kollegen in Ladelund eintraf, hatte sich bereits eine Schar Schaulustiger versammelt. Sämtliche Bewohner Ladelunds schienen sich zur Unglücksstelle aufgemacht zu haben. Immer wieder fragte er sich, was die Menschen an solch grässlichen Orten derart magisch anzuziehen schien. Es war ihm bisher jedoch in seiner gesamten Dienstzeit nicht gelungen, eine Antwort darauf zu finden. Er wies zwei der Kollegen direkt an, den Fundort zu sichern und entsprechend abzusperren.
    »Du scheuchst die Geier schon mal zurück«, zischte er dem dritten Mitarbeiter zu, straffte die Schultern und ging auf die Menschen zu, die dicht gedrängt vor der Gedenkstätte standen.
    »Darf ich bitte mal?« Die Leute machten kaum Platz. Jeder wollte den besten Blick auf den grausigen Fund erhaschen und vor allem wissen, wer der Tote war. Zum Glück hatte sich noch keiner getraut, die Leiche anzufassen. Oder doch? Woher wusste man sonst, dass er tot war? Und wer hatte überhaupt die Polizei verständigt? Thamsen verschaffte sich Platz mithilfe der Ellenbogen.
    Endlich lichtete sich die Menge und gab den Blick auf den Toten frei. Der lag direkt vor dem Gedenkstein der KZ-Gedenkstelle. Nackt, und auf den bleichen Rücken hatte der Täter mit Blut ein Hakenkreuz gemalt. Jedenfalls nahm er an, dass es sich bei der rötlichen Schmiererei um Blut handelte. Makaberer geht es kaum, schoss es Thamsen durch den Kopf, als er die Inschrift auf dem Mahnmal las.
    ›Die Würde des Menschen ist unantastbar.‹
    Wenige Meter entfernt, bei der Stahlskulptur, stand ein korpulenter Mann in Sportdress. Das Bild wirkte skurril. Die strichmännchenhaften Skulpturen und daneben der dicke Mann. Er stützte sich an der Plastik ab. Offensichtlich hatte der Fund ihn mitgenommen.
    »Haben Sie den Toten gefunden?«, rief er dem Mann zu und erwartete eigentlich, dass dieser zu ihm hinüberkam. Doch der Jogger schien wie festgewachsen an dem Konstrukt und nickte lediglich.
    »Haben Sie etwas verändert, den Toten berührt?« Wieder gab es keine akustische Antwort, sondern lediglich eine verneinende Kopfbewegung. Thamsen blickte auf den leblosen Körper hinunter. Auf den ersten Blick konnte man eigentlich gar nichts sagen, denn der Mann lag auf dem Bauch, mit dem Gesicht im feuchten Gras. Lediglich, dass es ein Mann war, konnte man an der Körperstatur erkennen. Sonst aber nichts. Wieso war der Jogger so überzeugt gewesen, dass der Mann tot war, überlegte Dirk Thamsen, während er aus seiner Jackentasche ein paar Latexhandschuhe zog.
    Langsam kniete er sich neben den Mann und tastete zunächst nach der Halsschlagader. Doch er konnte keinen Puls ertasten und durch die dünnen Gummihandschuhe fühlte er die eisige Kälte, die von dem Körper ausging. Vermutlich lag der Mann bereits eine ganze Weile hier, und selbst wenn er noch gelebt hatte, war er mittlerweile derart unterkühlt, dass sein Herz allein deswegen aufgehört hatte zu schlagen. Thamsen fasste den Leichnam an der Schulter und richtete dessen Oberkörper ein wenig auf, um in das Gesicht des Toten blicken zu können.
    »Auch das noch«, murmelte er.

3.
     
    Das Freizeichen erklang bereits zum zehnten Mal, doch am anderen Ende der Leitung meldete sich niemand.
    »Seltsam«, befand Haie und legte langsam den Hörer auf. Tom hatte doch versprochen, ihm Bescheid zu geben, wenn es so weit war. Ob etwas nicht in Ordnung war? Unschlüssig stand er vor dem kleinen braunen Schränkchen und blickte auf das Telefon hinab. Und wenn er in der Klinik anrief?
    Ach was. Haie schüttelte seinen Kopf. Er benahm sich ja schlimmer als ein werdender Vater. Die beiden würden
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