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Friesenkinder

Friesenkinder

Titel: Friesenkinder
Autoren: Sandra Duenschede
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arbeiteten sie bei Kälte, Wind und Dauerregen. Mit primitivstem Gerät mussten sie den schweren und nassen Boden bewegen, um den sogenannten Friesenwall zu errichten, wobei viele der Menschen starben.
    Marten hatte die Stato erreicht und bog nun auf den Fußweg Richtung Grenzstraße ab. Direkt auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand sich das ehemalige Lagergelände. Die Baracken waren längst abgerissen. Heute wurde die Fläche wieder landwirtschaftlich genutzt. Doch am Rande des Areals erinnerten ein großer Gedenkstein und eine Stahlskulptur, die heute im dichten Nebel kaum zu erkennen waren, an die Geschehnisse von 1944. Und trotzdem fiel Marten sofort auf, dass an dem vertrauten Bild etwas nicht stimmte. Direkt vor dem Findling zeichnete sich in den grauen Schwaden eine dunkle Erhebung ab. Langsam überquerte er die Straße und näherte sich durch das nasse Gras. Die Feuchtigkeit durchdrang seine Schuhe und schließlich auch die Socken. Doch Marten nahm das gar nicht wahr. Er fixierte den Punkt direkt vor dem Gedenkstein, während er einen Fuß vor den anderen setzte.
    Die Würde des Menschen ist unantastbar.
    Der Nebel lichtete sich. Marten schluckte. Sein Mund war ganz trocken. Er blinzelte, doch das Bild vor ihm im feuchten Gras blieb gleich. Nur wenige Schritte vor ihm lag der reglose Körper eines Mannes.
     
    »Moin, Chef«, begrüßte Gunter Sönksen Dirk Thamsen, als dieser den Gemeinschaftsraum der Polizeidienststelle in Niebüll betrat. »Auch einen Kaffee?«
    Thamsen nickte. Es war früh, sehr früh, und ohne eine ausreichende Dosis Koffein war er zu dieser Tageszeit eigentlich gar nicht zu gebrauchen. Seit er vor circa drei Jahren die Leitung der Dienststelle übernommen hatte, war sein Kaffeekonsum drastisch gestiegen. Als Vorgesetzter wollte er mit gutem Beispiel vorangehen und möglichst immer als Erster im Büro sein. Das war in der Regel auch, trotzdem er alleinerziehend war, kein Problem, denn die Kinder waren mittlerweile so groß, dass sie allein zur Schule gingen, und vor sieben Uhr ließen sich die anderen Mitarbeiter ohnehin selten blicken. Ausgenommen war natürlich der diensthabende Schichtleiter mit den Kollegen, aber die zählten für Thamsen nicht.
    Außerdem hätte er gar nicht gewusst, wie er seine Arbeit bewältigen sollte, wenn er nicht so früh im Büro wäre. Der ganze Papierkram nahm eine Menge Zeit in Anspruch. Das war er gewohnt. Bereits vor seiner Zeit als Dienststellenleiter hatte das Schreiben von Berichten viel Raum in seinem täglichen Arbeitsablauf eingenommen. Hinzu kamen nun jedoch die Mitarbeitergespräche, Beurteilungen und natürlich Meetings mit seinen Vorgesetzten sowie auch offizielle Veranstaltungen. Er war nur froh, dass Timo und Anne aus dem Gröbsten raus waren. Ansonsten hätte er nicht gewusst, wie er das alles unter einen Hut hätte bringen sollen. Obwohl es schon eine Zeit lang brauchte, bis sich alles eingespielt hatte. Am Anfang war es nicht leicht für ihn gewesen. Er besaß ja keine Vorstellung davon, welche Aufgaben sein ehemaliger Chef Rudolf Lange ihm hinterlassen hatte. Dirks Eindruck war damals, sein Vorgesetzter hätte im Gegensatz zu ihm ein relativ entspanntes Leben. Doch mittlerweile wusste er besser als jeder andere, dem war ganz und gar nicht so. Von allen Seiten bekam er Druck und verlor manchmal das eigentliche Ziel seiner Arbeit aus den Augen. Doch meist nur kurz, denn damit er nicht vergaß, dass der Sinn seiner Arbeit die Bekämpfung jeglichen Verbrechens war, übernahm er selbst nach wie vor die Leitung des einen oder anderen Falls. Das bedeutete natürlich zusätzliche Arbeit, holte ihn aber oftmals auf den Boden der Tatsachen zurück und ließ ihn den Bezug zur Arbeit seiner Mitarbeiter nicht verlieren. Die zollten ihm dafür gehörig Respekt, was Thamsen wiederum bestätigte, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben.
    Er stieß die Tür zu seinem Büro mit dem Fuß auf und knipste das Licht mit der Schulter an. Dann stellte er den Kaffeebecher auf seinem Schreibtisch ab und schaltete den Computer ein. Er hatte gerade die ersten Zeilen eines Berichtes gelesen, als sein Telefon klingelte.
    »Da ist ein Anruf aus Husum«, hörte er Gunter Sönksen sagen.
    »Und?« Es war schließlich nichts Ungewöhnliches, wenn sie ein Telefonat aus der Polizeidirektion erhielten.
    »Kripo.«
    Das wiederum war nicht alltäglich, denn die Kollegen von der Kriminalpolizei riefen in der Regel nur an, wenn es im Niebüller
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