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Friesenherz

Friesenherz

Titel: Friesenherz
Autoren: Janna Hagedorn
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Frau war bereits aufgestanden und zupfte an ihrem Kleid. Jetzt, da sie stand, sah man das Muster, ein wildes Batik-Durcheinander, der Stoff knöchellang. Ihre langen Silber-Ohrringe klirrten leise, als sie sich in Richtung Tür in Bewegung setzte. »Nicht nötig«, sagte sie und zog dezent die Nase hoch, »wir waren sowieso gerade durch.« Bei ihren ersten Worten war es nur eine Ahnung gewesen, doch jetzt war ich mir ganz sicher: Die Frau hatte eben noch geweint.
    Im Vorbeigehen strich sie sich eine dicke Strähne hinters Ohr. Die Strähne ploppte gleich wieder zurück. Von Nahem erinnerten mich diese Rastafrisuren immer an Putzwolle. Die Frau grüßte stumm mit erhobener Hand, in der sie ein Paar lederne Flipflops trug. Leichtfüßig schritt sie über den Linoleumboden des Sprechzimmers, als sei es ein tropischer Strand, und mein nächster Atemzug wehte mir ihre Ausdünstungen entgegen, eine Mischung aus einem blumigen Duft, biodynamischem Linseneintopf und einem Hauch von Nikotin. Ich atmete flacher.
    »Nimm Platz«, sagte Dr. Sidhoo und wies mit einer anmutigen Geste auf den frei gewordenen Stuhl, als böte sie mir nicht das stapelbare Modell Bengt-Olaf für zehn Euro das Stück an, sondern den Ehrenplatz auf einem Maharadscha-Diwan.
    Ich setzte mich auf den Klappstuhl und stand sofort wieder auf. Das Kissen war noch warm. Und wenn ich etwas nicht lei den konnte, dann waren es Sitze, die von fremden Pos vorgewärmt waren.
    »Ist irgendetwas nicht in Ordnung?«, fragte Dr. Sidhoo. Ich schüttelte stumm den Kopf, drehte das Sitzkissen um und nahm Platz. Dann entrollte ich meinen Fragebogen und legte ihn vor Dr. Sidhoo auf den Schreibtisch.
    Sie blätterte die Fragen flüchtig durch, nickte hier und dort, und ich begann, mich zu ärgern. Da hatte ich mir so eine Mühe gegeben, alles nach bestem Wissen und Gewissen auszufüllen, und dann blätterte diese Möchtegern-Ärztin (war die überhaupt Medizinerin?) nur darin herum wie in einer Promi-Zeitschrift beim Friseur. Ging ich vielleicht so mit den Klausuren meiner Schü ler um?
    Dr. Sidhoo ließ den Fragebogen sinken, lächelte fein, legte den Kopf ein wenig schief und stützte das Kinn auf die Fingerspitzen.
    »Maike also«, sagte sie.
    Ich nickte. »Maike mit ai und Johannsen mit zwei n.«
    Dr. Sidhoo blätterte und nickte. »Pitta-Kapha«, sagte sie schließlich.
    »Und das sehen Sie so schnell?«, fragte ich, gleichzeitig verblüfft über die rasche Diagnose und die Art, wie Dr. Sidhoo redete. Die Ärztin sprach beinahe akzentfrei deutsch, selbst die Art, wie sie die Vokale dehnte, klang eher friesisch als indisch.
    Dr. Sidhoo lächelte erneut auf ihre weise Weise. »Die meisten Westler sind Pitta-Kapha.«
    »Wozu dann die ganzen Fragen?«, wunderte ich mich und spürte, wie ich rot anlief. Hatte ich also ganz ohne Not preisgegeben, dass ich eher selten mit meinem Mann schlief.
    »Oh, das hat schon einen Sinn«, sagte Dr. Sidhoo. »Es gibt mir ein klareres Bild von deinem Charakter. Deinen Gesundheitsstö rungen. Deinen Ernährungsempfehlungen. Welches Gemüse du verträgst.« Sie begann, noch einmal in den zusammengehefteten Seiten zu blättern.
    »Und das sehen Sie an der Form meiner Augenbrauen?«, siezte ich sie stoisch weiter, gespannt, wie lange wir die unterschiedlichen Anreden durchhalten würden.
    Dr. Sidhoo lächelte nachsichtig, wie über ein Kind, das einen missglückten Witz gemacht hat.
    »Fisch könnte dir zuträglich sein«, sagte sie und nickte sich selbst anerkennend zu. »Besonders rotfleischiger.«
    »Das lassen Sie mal nicht den WWF hören«, gab ich zurück.
    »Bitte?« Die Ärztin blickte irritiert auf.
    »Thunfisch esse ich zum Beispiel gar nicht mehr.«
    Sie sah mich stumm an. Eines stand fest: Wegen ihrer indischen Ernährungslehre würde ich jedenfalls nicht auf meine Prinzipien verzichten.
    »Da gibt es diese praktische Taschenbroschüre«, erklärte ich. »In der steht mit einfachen Farbsymbolen, ob der Fischbestand gefährdet ist oder ob eine Überfischung …«
    »Eines kann ich dir jetzt schon sagen«, unterbrach mich Dr. Sidhoo, »du brauchst mehr … wie sagt man … Bitterkeit.«
    »Wie meinen Sie das?«, fragte ich.
    »Bitterkeit«, sagte sie unbeirrt, »ist eine von sechs Geschmacksklassen im Ayurveda. Dir fehlt sie ganz eindeutig.«
    Sie nahm ihre Hornbrille ab und sah mich durchdringend an. Etwas an ihrem Blick machte mich frösteln. Auf einmal fühlte ich mich, als wäre ich keine Lehrerin mehr, sondern wieder Schülerin.
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