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Friesenherz

Friesenherz

Titel: Friesenherz
Autoren: Janna Hagedorn
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schon mal ausziehen«, sagte die Masseurin zu Dr. Sidhoo.
    »Alles?«, fragte ich.
    »Sie muss nicht so laut reden, ich höre sie bestens«, sagte die Masseurin zu Dr. Sidhoo.
    »Schön«, sagte Dr. Sidhoo, »dann entspann dich gut, Frau Johannsen.«
    Das fand ich nun wieder originell, diese Kombination aus Duzen und Nachnamen. Sonst benutzten das nur Kinder gegenüber ihrer Grundschullehrerin oder Supermarktkassiererinnen unter einander.
    Ich drehte mich zur Wand und legte Jeans, Ringelshirt und Unterwäsche ab. Als ich gerade meinen Slip dazugelegt hatte, berührte mich etwas Weiches am Rücken.
    »Umdrehen«, sagte die Masseurin. Dann zog sie mir ein Stück Stoff zwischen den Beinen hindurch und befestigte es wie einen Lendenschurz. Ich blickte kurz in den Spiegel an der Wand und noch schneller wieder weg. Ein weiblicher Tarzan mit schweren Hüften, der nicht so aussah, als könnte er Urwaldbäume erklimmen, geschweige denn, sich von Liane zu Liane schwingen.
    Ose wies auf einen Plastikhocker, ich setzte mich ergeben hin und heftete einen Blick auf das bunte Batiktuch an der Wand, das wieder den indischen Gott mit Flöte und einer imposanten Anzahl von Armen zeigte. Alles, nur nicht wieder dieses Spiegelbild mit meinen traurigen kleinen Speckröllchen über dem Leinentuch. Aus dem Nirgendwo fiel mir plötzlich ein, was meine Mutter früher immer gesagt hatte: Es gibt eine kurze Zeit, in der Menschen unbekleidet am schönsten sind, eine noch kürzere Zeit, in der es sich die Waage hält, und die längste Zeit ihres Lebens sind sie bekleidet deutlich attraktiver. Vermutlich war ich eben Zeuge meines eigenen Verfalls gewesen: der Moment, in dem die Waage kippte. Für einen kurzen Moment fragte ich mich, wie es Frauen in meinem Alter ging, die noch einmal von vorne anfangen mussten mit dem Dating-Spiel, die sich mit vierzig oder mehr Jahren einem neuen, unbekannten Mann zeigen mussten.
    Und zwar nackig.
    Es hatte wirklich eine Menge Vorteile, verheiratet zu sein.
    Ose stellte sich vor mir auf, versperrte den Blick auf das Tuch und faltete ihre Hände.
    »Gebet«, sagte sie.
    »Amen«, sagte ich und lachte.
    Ose lachte nicht. Sie schloss die Augen und rieb die Handflächen vor dem Herzen zusammen, als wollte sie damit Feuer machen.
    »Hab ich so gelernt«, rechtfertigte sie sich. »Von meiner Lehrerin aus Sri Lanka.«
    »An der Akademie nördliches Nordfriesland?«
    »Südliches Nordfriesland. Obwohl, wenn Sie mich fragen, das war eigentlich eher östliches Ostfriesland.«
    Nach so viel Spontan-Geduze fand ich es schon beinahe befremdlich, dass Ose Sie zu mir sagte. Es fühlte sich so lehrerinnenhaft an. Nein, es passte nicht hierher.
    »Und ohne diesen spirituellen Krimskrams wirkt die Massage nicht?«
    Ose sah mich verdattert an, und ich begriff, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Man sollte Masseurinnen wohl nicht vor der Behandlung schon gegen sich aufbringen, schließlich hatten sie einen für die nächsten dreißig Minuten in der Hand.
    Schon wollte ich mich entschuldigen, aber Ose kam mir zuvor. Entschuldigend zuckte sie die Schultern.
    »Wat mutt, dat mutt«, sagte sie.
    Dann schloss sie die Augen, atmete mehrmals tief ein und aus und verfiel schließlich in einen monotonen Singsang, wobei sie sich mit geschlossenen Augen mehrfach verneigte, vermutlich vor einer imaginären Gottheit. Welcher Teil des Paketes war das jetzt wohl: noch Wellness oder schon Weiblichkeit?
    Nach einiger Zeit öffnete sie die Augen wieder, verbeugte sich noch einmal nach allen Seiten, griff dann meinen nackten Arm und zog mich etwas unsanft vom Hocker hoch.
    »Da hinlegen«, befahl sie. »Augen zu.«
    Ich kletterte auf die Massagebank und legte meinen Kopf in die kleine Schale am Ende, das Gesicht nach unten. Ich war froh, dass die Massage auf dem Bauch liegend begann, denn Augenschließen, das war nicht mein Ding. Nie gewesen, außer im Schlaf. Ich hatte es noch nie gemocht, mich anderen auszuliefern, die Kontrolle abzugeben. Nicht einmal … ganz ehrlich: nicht einmal beim Sex. Geschweige denn auf einer Massagebank in Gesellschaft einer spirituell angehauchten Nordfriesin.
    Torge war da ganz anders, der liebte es, massiert zu werden. In unserer ersten Zeit hatte das zu unserem Sonntagmorgenritual gehört: erst Liebe machen, dann Rücken kneten. So war auch Torges erster Kosename für mich entstanden: »MOM«, die Abkürzung für »Master of Massage«. Im Lauf der Jahre waren verschiedene Varianten dazugekommen, wie Mommelchen,
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