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Friesenherz

Friesenherz

Titel: Friesenherz
Autoren: Janna Hagedorn
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wenn ich nach langer Zeit Bekannte wiedertraf oder auf ein verstaubtes Fotoalbum stieß. Fünfzehn, zwanzig Jahre, wie schnell gingen die vorbei? Gerade eben erst hatte ich Ronja im Arm gehalten, auf dem riesigen, steif ausgestopften Stillkissen mit den hellblauen Elefanten darauf, ihr Gesichtchen zerknautscht wie das eines neugeborenen Boxerhundes. Jetzt stand ich hier, auf dem Flur eines Wellnesshotels an der Nordsee, und wies älteren Ehepaaren den Weg zum Speisesaal. Das war an und für sich nichts Schlechtes, aber wenn ich weiterrechnete, bekam ich es doch mit der Angst zu tun: Noch einmal die gleiche Zeitspanne, vorbei wie nichts, und ich würde selbst eingehakt mit Torge durch die Fußgängerzone irgendeines Kurortes schlendern. Vielleicht sogar in identischen Windjacken.
    Ich stieß die Glastür am Ende des Ganges auf und wollte sie am liebsten sofort wieder schließen. Wenn das altmodische Wort »Speisesaal« noch eine Daseinsberechtigung hatte, dann hier. Der Raum war unverhältnismäßig riesig für das Hotel. Überall standen lange Tafeln, gedeckt mit steifem weißen Leinenstoff und dekoriert mit maritimem Schnickschnack, aber fast völlig unbesetzt. An einem Fenstertisch saßen zwei Rentnerpaare in beigen Blousons, gegen die sogar Hans-Gerd und Geli Schatz jung und knackig wirkten, und löffelten stumm Suppe aus großen Terrinen.
    Und dann war da noch die Tafel am blau-weiß gekachelten Kaminofen. Dort hatte sich ein seltsames Grüppchen Leute versammelt, das überhaupt nicht zusammenpasste. Während ich noch überlegte, was die wohl zusammengeführt hatte, entdeckte uns schon eine üppige Blondine in einem roten Kleid und winkte so freudig, als seien die Schätze und ich ihre einzigen Verwandten und hätten soeben trockenen Fußes das Rettungsboot der Titanic verlassen.
    »Kimmts eini, Kinder!«, rief sie uns zu. »Hier seids ihr richtig!«
    Sie eilte uns auf halbem Wege entgegen und streckte mir eine Hand mit dunkelrot lackierten, gefährlich langen Fingernägeln hin. Eine Schrecksekunde lang fürchtete ich, sie könnte mich auch noch umarmen. Eigentlich waren die Bewohner Nordfrieslands ja nicht bekannt für überbordende Herzlichkeit, aber in den letzten zwölf Stunden schienen mir alle das Gegenteil beweisen zu wollen.
    »Ihr seids doch mit Sicherheit auch von der Weiblichkeit, gell?«, fragte sie. »Angenehm, Schleibinger, Lisi. Eure Gastgeberin.«
    »Sind Sie aus der Kosmetikabteilung?«, fragte ich und starrte auf ihre waffenscheinpflichtigen Fingernägel.
    »Ah, geh!« Lisi Schleibinger lachte wie über einen besonders guten Witz. »Mir g’hört das Hotel!«
    Während ich noch darüber nachgrübelte, wie eine bayerische Alpenrose wie diese zu einer Pension an der Nordseeküste kam, die sich hochtrabend Wellnesshotel nannte, fiel mir auf, dass ich wenigstens ein Gesicht am Tisch kannte. Die Hippie-Frau, die mit ihrem Po mein Sitzkissen vorgewärmt hatte. Irgendwie passte das Motto dieser Woche auch besser zu ihr als zu mir. Dafür passte der Mann neben ihr wieder gar nicht ins Bild, in seinem karierten Mischgewebejackett mit unpassender Blumenkrawatte. Wenn diese beiden auch ein Paar waren, dann ein sehr seltsames.
    Aber wiederum nicht so seltsam wie die anderen, die mit dem Rücken zum Kachelofen saßen. Er war lang und hager, trug dieselbe Art von weißem Kinderschlafanzug in Erwachsenengröße, wie ihn die Masseurin angehabt hatte, und hatte seine spärlichen grauen Haare im Nacken mit einem blauen Samtband zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst. Sie hatte ihre kurzen Haare in mehreren Rottönen gefärbt und trug eine Lederkette mit einem Delfinanhänger über dem Busen, der so groß war, dass die Schnauze des Delfins die eine und der Schwanz die andere Brust berührte. Am Ohr baumelten die gleichen Tiere noch einmal in Miniaturausgabe.
    Die Schätze und ich nahmen am Tisch Platz.
    Sofort stand eine Kellnerin hinter mir und wedelte mit zwei Flaschen. »Wasser oder Wein oder beides?«, fragte sie.
    Ich hatte plötzlich das dringende Bedürfnis, nüchtern zu bleiben.
    »Wasser«, sagte ich, »still, wenn’s geht.«
    »Sicher? Nicht doch so a kloanes Abschiedsschluckerl? Zur Feier des letzten Abends?« Lisi Schleibinger sah mich verschwörerisch an. »Du woaßt scho«, wisperte sie, »ab morgen sind wir hier streng ayurvedisch!«
    Im gleichen Moment ging die Schwingtür zur Küche auf, und ein Kellner eilte schwungvoll mit einer Edelstahlplatte heraus, deren Anblick mich augenblicklich hungrig
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