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Friesenherz

Friesenherz

Titel: Friesenherz
Autoren: Janna Hagedorn
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wenn er ein langes Bein vor das andere setzte.
    »Sie können uns doch sicher sagen, wo es hier zum Speisesaal geht«, sagte der Mann, und seine Frau nickte aufmunternd.
    »Ich denke, da vorne«, sagte ich, »ich bin auch den ersten Abend hier.«
    »Oh.« Der Mann blickte mich verblüfft an. »Und wir dach ten …«
    »Was denn?«
    »Ja, weil Sie hier so zielstrebig entlangkamen«, erklärte die Frau eilig, »da dachten wir: Die Dame kann uns sicher den Weg zeigen.«
    »Bedaure.« Ich hob die Hände. »Dann müssen wir uns wohl gemeinsam auf die Suche machen.«
    »Es ist nur …« Die Frau suchte nach Worten. »Sie wirken einfach wie jemand, der weiß, wo es langgeht.«
    »Berufskrankheit.« Ich musste lachen. »Wenn eine Lehrerin nicht weiß, wo es langgeht, hat sie schon verloren.«
    »Angenehm.« Der Mann streckte mir eine Hand hin. »Schatz.«
    Wie bitte? Wollte der etwa mit mir flirten, vor den Augen seiner Gattin? Plötzlich kam mir ein Gedanke: Ob Torge mich extra auf diesen Frauentrip geschickt hatte, weil er sicher sein konnte, dass ich hier nicht auf dumme Gedanken kam? Weil fremde Männer nicht zur Kernzielgruppe gehörten, wenn es um Wellness, Watt und Weiblichkeit ging? Anders gefragt: War Torge am Ende mal wieder ein bisschen eifersüchtig?
    Ich fand die Idee ganz schmeichelhaft. Er musste glauben, dass ich für andere Männer noch interessant war. Und zwar auch für solche Männer, die keine fallschirmseidenen Jacken trugen. Nun, wenn dem so war, konnte er ganz beruhigt sein: Boldsum war mit Sicherheit eine flirtfreie Zone.
    Ich griff nach der ausgestreckten Hand und schüttelte sie zurückhaltend.
    »Wir heißen so«, erklärte die Frau beflissen.
    »Sie heißen wie?«, fragte ich verwirrt.
    »Schatz, Hans-Gerd«, wiederholte der Mann und quetschte mir dynamisch die Hand, »meines Zeichens Bauingenieur. Und das ist meine Frau, die Geli.«
    »Maike Johannsen.«
    »Maike? Mit ›ai‹ oder ›ei‹?«
    »Mit ›ai‹«, sagte ich und rieb meine schmerzende Hand. Dieses Schätzchen war vielleicht Bauingenieur, hatte aber einen Händedruck wie ein Klempner.
    »Und Sie begleiten Ihre Frau zu der Wellnesswoche?«, fragte ich ihn, während wir gemeinsam weiter den Flur hinabgingen, vorbei an einer Kommode mit einem imposanten Buddelschiff obendrauf. Vom Ende des Gangs drangen uns Tellerklappern und gedämpftes Stimmengemurmel entgegen.
    »Ja und nein«, antwortete Hans-Gerd Schatz kryptisch.
    »Wir haben das ›Zeit-zu-zweit‹-Package gebucht«, ergänzte Geli. »Erst wollten wir ja ›Wellness, Watt und Weiblichkeit‹ und ›Männersache‹ kombinieren, weil wir dachten, dann hat doch jeder was eigenes, das ist ja auch mal ganz schön. Aber …«
    »… aber wenn man sich mal das Preis-Leistungs-Verhältnis anschaut, liegen wir mit dem anderen Paket doch deutlich günstiger!«, erklärte Hans-Gerd.
    »Ja, weil, die Wattwanderungen von dem Angebot mit der Weiblichkeit, also, das konnten wir für einen geringen Aufpreis dazubuchen. Na, und das Kulturprogramm.«
    »Welches Kulturprogramm?«, wollte ich wissen.
    »Das stand doch in diesem Prospekt«, erklärte Geli, »diesem kleinen, fliederfarbenen … na, jedenfalls diese Frau, diese Ann Sowieso … was macht die noch beruflich? Wie hieß das, min Seutn?«
    »Performance-Poetry«, erklärte Hans-Gerd, »das ist so etwas, also ich hab es nicht ganz verstanden, es muss etwas damit zu tun haben, dass eine Frau Gedichte schreibt und die vorliest. Aber irgendwie … irgendwie anders als normalerweise. Im Stehen, oder so.«
    Stehgedichte? Ann Sowieso? Kulturprogramm? Offensichtlich wussten die etwas, das ich nicht wusste. Das hatte man nun von Überraschungsgeschenken zum Geburtstag.
    »Hat aber nichts extra gekostet!«, fügte Geli stolz hinzu.
    »Wobei, ich wäre ja dafür gewesen, das Angebot mit Halbpension zu nehmen. Und nicht nur das Begrüßungsdinner mit dem Freigetränk. Denn die Preise in der Gastronomie hier …«
    »Ja, min Seutn!« Geli tätschelte den Arm ihres Mannes. »Aber man will ja auch mal was erleben, so von zu Hause weg.«
    Ich grinste in mich hinein. Wenn man Schatz mit Nachnamen hieß, fiel der naheliegendste Kosename wohl flach. Da musste man sich schon etwas anderes einfallen lassen. Irgendwie rührend, dass diese ältere Dame ihren Mann immer noch »mein Süßer« nannte. Wie alt mochten die beiden sein – Anfang, Mitte sechzig?
    Ich rechnete nach und hatte plötzlich dieses Schwindelgefühl, das mich in letzter Zeit oft überkam,
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