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Friesenherz

Friesenherz

Titel: Friesenherz
Autoren: Janna Hagedorn
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Bio-Arbeit denken, die ich neulich auf dem Stapel gefunden hatte, eine Arbeit, die nur aus zwei Sätzen bestand. »Die Existenz der Hormone als Botenstoffe im menschlichen Körper ist mir bekannt«, hatte Moritz Ebert-Kühn aus der 11b geschrieben. »Leider war es mir aus persönlichen und fachlichen Gründen nicht möglich, meine Kenntnisse in dieser Angelegenheit weiter zu vertiefen.« Kommentarlos hatte ich eine Sechs daruntergesetzt. Es hatte mir nicht leidgetan. Moritz war ein verwöhnter Schnösel, dessen künftige Karriere sich von Lappalien wie einer solchen Schulnote nicht aufhalten lassen würde. Sein Leben war auf Erfolg programmiert. Die Architektenvilla seines Vaters, das Mini Cabrio zum achtzehnten Geburtstag sprachen eine eindeutige Sprache. Allein schon die Eloquenz, mit der er zugab, dass er das Thema der Bio-Arbeit für Zeitverschwendung hielt. Das schrie nach einer Führungsposition in jungen Jahren. Ich war gespannt gewesen, ob Moritz’ Vater mich für diese eindeutige Note verklagen würde, wie schon mehrfach geschehen, aber in diesem Fall war wohl nicht einmal dem Anwalt der Familie ein schlagendes Argument eingefallen.
    Manchmal bewunderte ich Leute wie Moritz für ihre Unverfrorenheit. Ich selbst war zu so etwas nicht in der Lage, ich war viel zu gewissenhaft, sogar beim Ausfüllen eines Ayurveda-Fragebogens. Außerdem hatte ich viel Geld für diese Woche bezahlt. Oder eigentlich nicht ich, sondern Torge.
    Bevor ich ging, nahm ich das zweite Kissen und die zweite Decke aus dem Doppelbett, packte sie in den Schrank und zog die einzelne Garnitur ganz in die Mitte. Jetzt sah mein Zimmer nicht mehr so aus wie das Zimmer einer verlassenen Ehefrau. Heute Nacht würde ich mich so richtig breitmachen.
    Darauf freute ich mich am meisten.

3
    Die Tür zum Sprechzimmer der Ayurveda-Ärztin stand offen, und ich stieß sie schwungvoll auf, ohne anzuklopfen. Dr. Sidhoo saß in einem orange-pinkfarbenen Sari hinter einem schäbig furnierten Schreibtisch, nein, sie saß nicht einfach, sie thronte. Obwohl sie genauso klein und dick war wie auf dem Bild und eine unvorteilhafte Hornbrille trug, strahlte sie etwas Königliches aus. Sie hob den Kopf und sah mich mit einem seltsamen Blick an. Es lag etwas Abwartendes darin, aber auch etwas Bedauerndes, so als hätte sie eine Patientin vor sich, die kränker war, als sie selbst wusste. Ein Blick, mit dem unangenehme Diagnosen überbracht wurden.
    Dann sah ich, dass die Ärztin nicht allein im Zimmer war.
    Auf dem weißen Plastik-Klappstuhl gegenüber dem Schreibtisch saß bereits eine andere Frau. Verfilzte, dunkelblonde Rastalocken schlängelten sich über die Lehne, und ihr Kleid leuchtete in prallen Rot- und Orangetönen wie eine Signallampe im Nebel. So viel Farbe auf einmal ließ den restlichen Raum beinahe wirken wie ein Schwarz-Weiß-Foto.
    Langsam drehte sich die Frau mit den Rastalocken um. Sie betrachtete mich aus grünen Augen, dann zupfte sie ein Kosmetiktuch aus der geblümten Spenderbox auf dem Tisch und schnäuzte sich geräuschvoll. Sie blickte in ihr Taschentuch, dann säuberte sie mit einem Zipfel hingebungsvoll ihren silbernen Nasenring. Ihr Gesicht war mit Sommersprossen übersät. Sie sah aus wie Pippi Langstrumpf, nur in einer deutlich älteren Version.
    »Entschuldigung«, sagte ich und machte einen Schritt zurück.
    »Alles cool«, sagte sie mit einer seltsam heiseren Stimme. »Kein Grund, so zu schreien.«
    Ich hab doch nicht geschrien, wollte ich erwidern, schluckte die Worte aber im letzten Augenblick herunter. Hippie-Pippi war nicht die Erste, die von meiner Stimme irritiert war. Oft ging es Fremden so, vor allem, wenn sie nicht wussten, dass ich als Lehrerin arbeitete. Torge machte manchmal Witze darüber, dass ich je des Jahr zunahm, nicht Kilos, sondern mehrere Dezibel. Es schien sich um eine Berufskrankheit zu handeln, die meisten meiner Kollegen waren ähnlich laut. Und die wenigen, die es nicht waren, wurden vor ihrem fünfzigsten Geburtstag wegen Burn-out krankgeschrieben.
    »Ich wusste nicht, dass Sie …«, begann ich, brach dann aber verdutzt ab. Warum hatte mich die Frau einfach geduzt? War das so üblich in Wellnesshotels? So ähnlich wie im Fitnessstudio? Oder war sie noch in diesem Alter, in dem man Fremde automatisch duzte, wenn sie nicht gerade hinter einem Bankschalter saßen oder einen Rollator vor sich herschoben?
    »Also, ich warte dann mal draußen«, sagte ich und bemühte mich, meine Stimme zu dämpfen. Aber die
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