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Freudsche Verbrechen. Ein Mira-Valensky-Krimi

Freudsche Verbrechen. Ein Mira-Valensky-Krimi

Titel: Freudsche Verbrechen. Ein Mira-Valensky-Krimi
Autoren: Eva Rossmann
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hin. Sie begriff sofort. Gemeinsam räumten wir einige Scheite zur Seite. Ein Loch, gerade groß genug um eine Hand hineinzustecken. Vesna nickte und tastete ins Innere. Die Hand verschwand, dann auch das Handgelenk.
    Ich sah mit angehaltenem Atem zu, als Vesna einen weißen, mittelgroßen Briefumschlag zu Tage förderte. Der Umschlag trug eine Art von Anschrift. Bloß einige Worte. Inzwischen war es stockfinster geworden. Warum hatten wir nicht daran gedacht, eine Taschenlampe mitzunehmen?
    „Ich weiß, wie das Gittertor aufgeht“, flüsterte ich Vesna zu.
    „Zu gefährlich. Das hören sie. Wir müssen hinten herum. In den Park. Zu einer Lampe. Oder gleich zum Auto.“
    Wir rannten durch den Garten, drückten uns durchs Gebüsch. Vesna war vor mir, sie lief auf den Parkweg zu. Ich keuchte und bekam kaum mehr Luft. Ich musste endlich etwas für meine Fitness tun. In der Schule war ich im Laufen recht gut gewesen, es gab sogar noch ein paar Pokale aus der Zeit. Aber das war zwanzig Jahre her. Alle joggen heutzutage. Ich hasse solche Massenbewegungen. Ach was, in Wirklichkeit war es bloß meine Faulheit, die mich davon abhielt. Wir hatten mein Auto bei einem Nebeneingang des Parks abgestellt, zwei Gassen von der Birkengasse entfernt.
    Vesna war am Weg stehen geblieben. Ein eng umschlungenes Paar ging an uns vorbei. Es schien uns gar nicht bemerkt zu haben.
    „Dort ist Lampe“, sagte Vesna und sprintete wieder los. Wenn ich diese Sache heil überstand, würde ich zu joggen beginnen, gelobte ich mir und versuchte mein Bestes, um ihr nachzukommen.
    Hier, im Licht der Straßenlampe, konnte man problemlos lesen. „To my grandmother“, stand auf dem Kuvert.
    „Aufpassen, dass es nicht beschädigt wird“, sagte ich. Unnötig, der Brief war nicht zugeklebt. Vesna zog die Lasche mit solcher Vorsicht heraus, als handle es sich um eine Briefbombe. Im Kuvert lag ein anderes Kuvert, kleiner und älter. Und es lag ein beschriebenes Blatt dabei. Der Text war in Englisch. Ich übersetzte für Vesna:
    „Liebe Großmutter, wenn der Krieg nicht gewesen wäre, dann hättest Du hier gewohnt. Hier hätten wir uns getroffen. Vielleicht hätte auch ich hier gewohnt. Ich habe mich entschlossen, das Haus zurückzufordern. Nicht für mich, sondern im Andenken an Dich, Deine Eltern, Deine Freundinnen und an alle Opfer der Nazizeit. Vielleicht gelingt es mir, ein Gedenkzentrum aufzubauen. Wien hat kein Memorial-Center wie wir in Washington. Ich bin mit der Schule einmal dort gewesen, aber da habe ich noch von nichts gewusst. Morgen Nachmittag treffe ich mich mit dem Sohn der jetzigen Hausbesitzer im Freud-Museum. Er kann im Gegensatz zu seiner Mutter Englisch. Vielleicht begreift er in dieser Umgebung leichter, worum es geht: nicht zu vergessen, weil man die grauenvollen Dinge, die im Krieg passiert sind, nur verdrängen, aber nicht vergessen kann. Er ist noch jung und angeblich sehr erfolgreich. Vielleicht wird er mir sogar bei einem Gedenkzentrum helfen. Das wäre ein schöner, versöhnlicher Akt. Wir werden sehen.
    Gib mir Kraft und wünsche mir Glück,
    in Liebe Deine Jane.
    PS: Den letzten Brief meiner Urgroßeltern habe ich beigelegt. Er gehört in ihr Haus und auch er soll mir und dem Haus in Zukunft Glück bringen.“
    Wir sahen uns an. Dann öffnete ich langsam den Brief. Das Kuvert hatte keine Anschrift. Der kleine Zettel war aus grauem, schlechtem Papier, er schien von einem größeren Blatt hastig abgerissen worden zu sein. Offenbar hatte jemand erst später den Zettel in das Kuvert gesteckt. Janes Großmutter?
    „Liebe Hanni,
    ich kann nur ganz kurz schreiben. Wir sind in ein Lager im Osten gekommen. Es heißt Auschwitz. Dein Vater und ich sind getrennt worden, aber ich bin zuversichtlich, ihn wiederzufinden. Die Bedingungen hier sind nicht gut. Vielleicht sehen wir uns nicht wieder. Eines aber möchte ich Dir mit auf den Weg geben.
    Hüte Dich vor zwei Dingen: vor Habgier und vor Phantasielosigkeit. Und hüte Dich vor allen, die habgierig und phantasielos sind. Sie können Dir alles nehmen. Das Haus und das Recht, zu leben, und sie werden sich dennoch keiner Schuld bewusst sein.
    Deine Dich immer liebende Mutter.“
    Die Bäume rauschten leise im Wind. Der Weg war verlassen. Die wenigen Lampen warfen ein ruhiges Licht, so als ob sie immer schon geleuchtet hätten und immer weiterleuchten würden. Eine Zeit lang sagten wir nichts. Dann steckte ich den Zettel zurück in das Kuvert, das Kuvert und Janes Brief in das größere
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