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Fremd fischen

Fremd fischen

Titel: Fremd fischen
Autoren: Emily Giffin
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gewinnen würde. Nicht nur, weil Darcy dreister war als die anderen Mädchen und in der Cafeteria oder auf dem Schulhof geradewegs auf Doug losmarschierte, sondern auch, weil sie das hübscheste Mädchen in unserer Klasse war. Mit ihren hohen Wangenknochen, den großen, gerade weit genug auseinander liegenden Augen und dem zierlichen Näschen hat sie ein Gesicht, das in jedem Alter anbetungswürdig ist, auch wenn Fünftklässler noch nicht sagen können, wieso es hübsch aussieht. Ich glaube, mit zehn wusste ich noch gar nicht, was Wangenknochen und Knochenstruktur überhaupt sind, aber dass Darcy hübsch war, war mir klar, und ich beneidete sie um ihr Aussehen. Genau wie Annalise, die es Darcy auch noch bei jeder Gelegenheit sagte, was ich für vollkommen überflüssig hielt. Darcy wusste schon selber, dass sie hübsch war, und meiner Meinung nach brauchte sie in diesem Wissen nicht täglich bestätigt zu werden.
    In jenem Jahr versammelten Annalise, Darcy und ich uns zu Halloween in Annalises Zimmer, um unseren Auftritt in selbst gemachten Zigeunerinnenkostümen vorzubereiten – Darcy hatte darauf bestanden, dass sie ein tadelloser Vorwand für ein exzessives Make-up seien. Während sie in den Spiegel schaute und ein Paar Ohrringe mit unechten Steinen begutachtete, die sie
soeben bei Claire’s gekauft hatte, sagte sie:«Weißt du, Rachel, ich glaube, du hast Recht.»
    « Recht womit?»Genugtuung durchströmte mich, auch wenn ich nicht wusste, auf welche vergangene Debatte sie sich bezog.
    Sie befestigte einen Ohrring und sah mich an. Ich werde dieses winzige Zwinkern nie vergessen – die leiseste Andeutung eines selbstgefälligen Lächelns.«Du hast Recht mit Ethan. Ich glaube, er wird auch mir gefallen. »
    « Was soll das heißen, er ‹wird› dir gefallen?»
    « Ich hab genug von Doug Jackson. Jetzt mag ich Ethan. Ich mag seine Grübchen.»
    « Er hat bloß eins», fauchte ich.
    « Na gut, dann mag ich eben sein eines Grübchen.»
    Hilfe suchend schaute ich Annalise an und hoffte, sie werde das Argument äußern, dass man nicht einfach beschließen könne, von jetzt an jemand anderen zu mögen. Aber natürlich sagte sie gar nichts, sondern verteilte vor dem Handspiegel ihren rubinroten Lippenstift auf die geschürzten Lippen.
    « Das glaub ich nicht, Darcy!»
    « Was ist los mit dir?», fragte sie.«Annalise war auch nicht sauer, weil ich Doug toll fand. Wir haben ihn monatelang mit der ganzen Klasse geteilt. Stimmt’s, Annalise?»
    « Länger. Ich hab im Sommer angefangen, ihn toll zu finden. Weißt du noch? Im Schwimmbad?»Annalise war der größere Zusammenhang offensichtlich wieder einmal entgangen.
    Ich funkelte sie an, und sie schlug reumütig die Augen nieder.
    Denn bei Doug lag die Sache anders. Doug war Allgemeinbesitz. Aber Ethan gehörte mir allein.

    An diesem Abend sagte ich nichts weiter dazu, aber Halloween war mir gründlich verdorben. Am nächsten Tag schickte Darcy in der Schule einen Zettel an Ethan und fragte, ob er mich, sie oder keine von uns beiden liebe, mit einem kleinen Kästchen für jede Möglichkeit und der Aufforderung, eins anzukreuzen. Er muss Darcys Namen angekreuzt haben, denn in der Pause waren sie ein Paar. Das heißt, sie verkündeten beide, dass sie jetzt«miteinander gingen», aber sie verbrachten nie wirklich Zeit miteinander – es sei denn, man zählt ein paar abendliche Telefonate dazu, deren Verlauf sie oft schon vorher mit einer kichernden Annalise plante. Ich lehnte es ab, an ihrer aufkeimenden Romanze teilzuhaben oder darüber zu reden.
    In meinen Augen ist es egal, dass Darcy und Ethan sich nie küssten, wir erst in der fünften Klasse waren oder dass sie zwei Wochen später«Schluss machten», als Darcy das Interesse verlor und beschloss, wieder Doug Jackson anzuhimmeln. Oder dass Nachahmung, wie mir meine Mutter zum Trost sagte, die ehrlichste Form der Schmeichelei sei. Wichtig ist, dass Darcy mir Ethan gestohlen hat. Vielleicht tat sie es, weil sie es sich wirklich anders überlegt hatte; das jedenfalls sagte ich mir, damit ich aufhörte, sie zu hassen. Aber wahrscheinlicher ist, dass sie sich Ethan nahm, nur um mir zu zeigen, dass sie es konnte.
    Und insofern, meine Damen und Herren Geschworenen, hat Darcy Rhone nichts anderes verdient. Wie man in den Wald ruft, so schallt es heraus. Und vielleicht ist dies die gerechte Strafe.
    Ich stelle mir die Gesichter der Geschworenen vor. Sie sind nicht beeindruckt. Die Männer sehen ratlos aus, als ob sie
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