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Fremd fischen

Fremd fischen

Titel: Fremd fischen
Autoren: Emily Giffin
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findet, der Milkshake sei eine ausgezeichnete Idee. Darf sich an ihrem Geburtstag nicht jede mal ein paar schwache Augenblicke leisten?

Als ich am nächsten Morgen aufwache, ist das Mädchen, das sich unbekümmert seinen Milkshake reinschlürft, nicht mehr da. Sie ist eingeknickt vor ihren Schuldgefühlen und einem dreißigjährigen Leben nach Vorschrift. Ich kann nicht mehr rational begründen, was ich getan habe. Ich habe eine unaussprechliche Untat gegen eine Freundin begangen, habe einen zentralen Grundsatz der Schwesternschaft verletzt. Es gibt keine Rechtfertigung.
    Also Plan B: Ich werde so tun, als sei nichts passiert. Meine Verfehlung war so groß, dass mir nichts anderes übrig bleibt, als die ganze Sache willentlich verschwinden zu lassen. Und indem ich einfach den Alltag beginne und mich meinem Montagmorgen-Trott hingebe, scheint mir das auch zu gelingen.
    Ich dusche, föhne mir die Haare, ziehe mein bequemstes schwarzes Kostüm und flache Schuhe an, fahre mit der U-Bahn nach Grand Central, hole meinen Kaffee bei Starbucks, kaufe die New York Times an meinem Zeitungsstand und fahre mit zwei Rolltreppen und einem Aufzug hinauf in mein Büro im MetLife Building. Jeder Schritt dieses Alltagstrotts führt mich
einen Schritt weiter weg von Dex und DEM ZWISCHENFALL.
    Um zwanzig nach acht bin ich in meinem Büro – sehr früh nach den Maßstäben einer Anwaltsfirma. Auf den Fluren ist es still. Nicht mal die Sekretärinnen sind da. Ich schlage den lokalen Teil der Zeitung auf und trinke meinen Kaffee, als ich das rote Blinklicht an meinem Telefon bemerke, das mir eine wartende Nachricht signalisiert – meistens eine Warnung, dass noch mehr Arbeit auf mich zukommt. Irgendein beknackter Partner aus der Firma muss mich an dem einzigen Wochenende jüngeren Datums angerufen haben, an dem ich meinen Anrufbeantworter nicht abgehört habe. Ich wette, es war Les, der beherrschende Mann in meinem Leben und der beknackteste Partner auf sechs Etagen voller beknackter Partner. Ich gebe mein Passwort ein, warte …
    Sie haben eine neue Nachricht von einem externen Anrufer. Heute, sieben Uhr zweiundvierzig … , sagt die Computerstimme. Ich hasse diese Automatenfrau. Sie bringt immer nur schlechte Nachrichten, und das mit fröhlicher Stimme. Für Anwaltsfirmen sollte man die Ansage ändern – die Stimme müsste ernster klingen. O je … (mit ominöser Hintergrundmusik aus dem Weißen Hai ). Sie haben vier neue Nachrichten …
    Was ist es diesmal? , denke ich und drücke die Abspieltaste.
    Hi, Rachel … ich bin’s … Dex … Ich wollte dich gestern anrufen, um über Samstagnacht zu reden, aber – ich konnte es einfach nicht. Ich glaube, wir sollten uns darüber unterhalten, meinst du nicht? Ruf mich an, wenn du kannst. Ich dürfte den ganzen Tag da sein.
    Mir rutscht das Herz in die Hose. Wieso kann er
nicht ein paar gute, altmodische Vermeidungstechniken anwenden und einfach ignorieren, was passiert ist? Nie wieder davon sprechen? Das war mein Schlachtplan. Kein Wunder, dass ich meinen Job hasse – ich bin Anwältin und mag keine Konfrontationen. Ich greife nach einem Stift und trommle auf die Schreibtischkante. Ich höre meine Mutter sagen, dass ich zu zappeln aufhören soll. Ich lege den Stift wieder hin und starre auf das Lämpchen, das immer noch blinkt: Die Frau verlangt, dass hinsichtlich dieser Nachricht eine Entscheidung getroffen wird. Ich kann sie noch einmal anhören, speichern oder löschen.
    Worüber will er denn reden? Was gibt es zu sagen? Ich höre die Nachricht noch einmal an und erwarte, dass die Antwort darauf im Klang seiner Stimme, in seinem Tonfall begründet liegt. Aber sie verraten nichts. Ich spiele die Nachricht noch einmal ab. Und noch einmal. Bis seine Stimme anfängt, verzerrt zu klingen – so, wie ein Wort sich verändert, wenn man es oft genug wiederholt. Ei, Ei, Ei, Ei. Das war immer mein Lieblingswort für dieses Experiment. Ich habe es wiederholt und wiederholt, bis es mir so vorkam, als führte ich da das komplett falsche Wort für die gelbe Substanz an, die ich zum Frühstück essen würde.
    Ich höre mir Dex noch ein letztes Mal an und lösche ihn dann. Seine Stimme klingt eindeutig verändert. Das leuchtet ein, denn in gewisser Weise ist er verändert. Wir sind es beide. Denn selbst wenn ich versuche auszublenden, was passiert ist, und selbst wenn Dex DEN ZWISCHENFALL nach einem kurzen, verlegenen Telefonat ad acta legt, wird jeder von uns beiden für alle Zeit auf der Liste des
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