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FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter

FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter

Titel: FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter
Autoren: Siegfried Wittwer
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seinen Vollbart.
    Er war ein fröhlicher, manchmal aber auch streitlustiger Geselle, der mit der Faust auf den Tisch schlagen konnte, um kurz danach schon wieder laut schallend zu lachen und dem anderen die Hand zur Versöhnung zu reichen.
    »Ich habe gerade eine Prophezeiung Martin Luthers über den Untergang Deutschlands entdeckt.«
    »So, so, etwa die Stelle, wo er schreibt, es werde solch ein Jammer über uns kommen, dass man sagen wird: ›Hier hat Deutschland einmal gestanden‹?«
    »Nein, er sagt hier, Deutschland werde zerstört und verheert, weil die Bischöfe, Pfaffen und Tyrannen wüten und toben. – Gibt es denn noch mehr solcher Weissagungen von ihm?«
    »Ja, etliche. Er hat viel über die Zukunft des Landes und der Kirche oder die Sünden der Menschen gesagt.«
    »Davon habe ich noch nie etwas gehört.«
    »Es gibt eine Reihe Bücher über seine Weissagungen. Einige sind nicht mal so alt.«
    »Kannst du sie mir zeigen?«, bettelte Anneliese. »Sicherlich hast du einige davon hier in den Regalen.«
    »Warum nicht?«, erwiderte ihr Vater. »Luther war ein großer Prophet, und vieles von dem, was er vorausgesagt hat, ist eingetroffen. Aber jetzt habe ich erst einmal Wichtigeres zu tun. Erinnere mich später noch einmal daran.«
    Er wandte sich zum Gehen.
    »Wenn unser Land verheert werden wird«, dachte Anneliese laut weiter, »wird es auch Magdeburg treffen? Wird auch unsere Heimatstadt in Schutt und Asche gelegt werden?«
    »Ich glaube, ich muss dich jetzt auf andere Gedanken bringen«, unterbrach ihr Vater sie. »Hast du nicht Lust mitzukommen? Ich muss Papier für die Druckerei vom Hafen abholen. Der Wagen ist schon angespannt und wartet draußen vor der Tür.«
    Er hielt ihr einladend die Hand hin. Sie überlegte kurz, dann nickte sie.
    »Das Buch lasse ich hier aufgeschlagen liegen, damit ich nachher noch ein bisschen darin stöbern kann. Oder hast du etwas dagegen?«
    »Nein, nein, lass es liegen. Es stört ja keinen. Wir sind weg, und Martha ist zu ihrer Base. Bis sie wiederkommt, sind wir auch schon zu Hause.«
    Sie verließen das mit Schnitzereien reich verzierte Fachwerkhaus. Über der Haustür stand auf einem Balken zu lesen:
    Gott bewahre uns und dieses Haus
vor Feuer und vor Wassernot
und vor dem schnellen bösen Tod.
    Anneliese mochte diesen Spruch. Er gab ihr das Gefühl, sicher und geborgen sein, weil Gott über ihrem Leben wachte. Nein, sie konnte sich nicht vorstellen, dass ihre Heimatstadt und ihr Haus einmal den Kriegswirren zum Opfer fallen könnten. Sie musste unbedingt nachlesen, was der Reformator außerdem über die Zukunft des Landes vorausgesagt hatte. Ob alles so düster war wie das gerade Gelesene?
    Vor dem Haus stand eine alte, schwarz lackierte Sturzkarre, ein einachsiges Pferdefuhrwerk, in dem ein Rappe eingespannt war. Bei einem solchen Wagen konnte der Karrenaufsatz nach hinten gekippt werden, um das Transportgut schnell entladen zu können. Obwohl das für die Beförderung von Papier überhaupt nicht notwendig war, konnte sich Carl-Ulrich Stetter nicht von diesem Fuhrwerk trennen. Irgendwie hatte er einen Narren daran gefressen.
    Anneliese und er kletterten auf den Kutschbock und ließen sich auf dem gepolsterten Brett nieder. Dann schnalzte ihr Vater mit der Zunge und ließ die Zügel locker. Knarrend setzte sich der Sturzwagen in Bewegung und holperte die ausgefahrene Straße hinunter.
    Das Haus der Stetters lag ganz in der Nähe des Domplatzes, um den sich die Häuser der wohlhabenden und einflussreichen Bürger Magdeburgs drängten. Hier waren die Straßen noch breit und mit Kopfstein gepflastert. Aber je weiter man sich davon entfernte, desto holpriger, enger und verwinkelter wurden die Gassen, auf denen Küchenabfälle und Fäkalien darauf warteten, von den Gassenkehrern weggefegt zu werden. Doch das geschah nur selten, sodass der Unrat besonders in der Hitze des Sommers buchstäblich zum Himmel stank. Jetzt, im Frühling, konnte man den Modergeruch gerade noch ertragen. Manchmal spülten heftige Regenschauer die Straßen sauberer, als die Gassenkehrer es taten. Die Abfuhr des Unrats wäre eigentlich wieder einmal nötig gewesen, aber weder die einen noch die anderen ließen sich seit Wochen blicken.
    Anneliese hielt zeitweise die Luft an, wenn der Gestank ihr zu sehr in der Nase stach. Sie war ihrem Vater dankbar, dass er vor ihrer Haustür, durch seine guten Beziehungen zum Stadtrat, für mehr Sauberkeit gesorgt hatte. So ließ es sich dort ganz gut
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