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FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter

FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter

Titel: FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter
Autoren: Siegfried Wittwer
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in jedem Haus leben mehrere Menschen. Insgesamt sollen wohl dreißigtausend Einwohner in der Stadt sein, sagte man mir. Da kann man nicht jeden kennen.«
    Rosa lachte: »Nein, das ist auch nicht möglich. Aber wir sind uns schon einmal begegnet.«
    »Und wo?«, wollte er wissen.
    »Am Alten Markt.«
    »Am Alten Markt? Wieso kann ich mich nicht an dich erinnern? Du wärst mir doch sicherlich aufgefallen.«
    »Ach, wem fällt schon die Tochter eines Lohgerbers auf?« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung.
    »Nun stell mal dein Licht nicht unter den Scheffel. Ob Gerber- oder Kaufmannstochter, es kommt doch nicht auf die Herkunft an, sondern darauf, was für ein Mensch man ist.«
    Rosa spürte, wie es ihr trotz der noch kühlen Luft warm wurde. Offensichtlich kannte Benno Greve keine Standesdünkel. Natürlich konnte er dies leicht über die Lippen bringen, aber ob er sich auch in der Öffentlichkeit zu einem Mädchen der Unterschicht bekennen und dabei seinen Ruf aufs Spiel setzen würde, das war eine andere Frage.
    »So, du wohnst also im Gerberviertel. Wo liegt das?«
    »Hier, in der Vorstadt Sudenburg, und zwar dort hinten an der Stadtmauer in der Elbgasse.«
    Rosa wies mit der Hand hinter sich. Weil in der Magdeburger Börde der Wind meistens aus Nordwest wehte und nur äußerst selten aus Südost kam, hatte man – wie in den meisten Städten – die Gerber in die südlichste Ecke der Vorstadt verbannt, damit der Gestank ihrer Brühen nicht ganz Magdeburg verseuchen konnte.
    »Wir haben dort ein kleines Haus direkt an der Stadtmauer. Ein sehr kleines Haus«, fügte sie hinzu. »Es ist gerade mal vier Schritt breit.«
    »Nur vier Schritt?«, rief der junge Mann aus. »Das reicht ja gerade für eine Tür und ein Fenster.«
    »Ja, mehr ist es zur Frontseite auch nicht. Wir haben drei Zimmer übereinander und noch einen Boden. Unten ist die Küche, darunter ein Keller. Das war's. Darin leben mein Vater und ich. Aber mein Vater hat noch eine Werkstatt auf der anderen Straßenseite. An der können Sie gar nicht vorbeilaufen.«
    »Gut, das werde ich finden, wenn du mir noch deinen Namen sagst.«
    »Ich bin die Rosa Münkoff.«
    »Rosa. Was für ein schöner Name.« Benno Greve blickte ihr länger in die himmelblauen Augen, als es sich schickte. Aber es gefiel ihr. Dann zog er sein Barett, verbeugte sich galant und verabschiedete sich mit einem breiten Lächeln: »Rosa, wir sehen uns schon bald. Ich werde mich bei Ihnen melden.«
    Er drehte sich um und eilte davon. Auf halbem Weg zum Stadttor winkte er ihr noch einmal zu und verschwand dann im Schatten der Mauer.
    »… bei Ihnen melden.«
    Hatte sie die letzten Worte wirklich richtig verstanden? Der Advokat hatte Rosa zuletzt angesprochen, als wäre sie aus der Oberschicht. War das ein Versprecher gewesen oder behandelte Benno Greve sie bewusst wie eine Dame?
    Nachdem Rosa die letzten Wäschestücke ausgewaschen hatte und mit dem Weidenkorb nach Hause ging, war ihr Schritt noch leichter und beschwingter als sonst. Benno Greve ging ihr nicht mehr aus dem Kopf, und sie hatte nun keine traurigen oder zornigen Gedanken mehr, wenn sie an den Standesunterschied zwischen ihnen dachte. Beinahe war sie für den Unfall des kleinen Conrad Friese sogar dankbar, hatte er doch die unsichtbaren Schranken zwischen dem Advokaten und ihr niedergerissen.

2.
    Anneliese Stetter stöberte in der Hausbibliothek ihres Vaters nach einem Buch, das sie interessieren könnte. Eigentlich sollte sie nach dem Willen ihrer Mutter noch Spinett üben, aber heute Nachmittag verspürte sie keine Lust dazu. Die vom Musiklehrer verordneten Stücke von Monteverdi und Heinrich Schütz langweilten sie ohnehin. Deshalb nutzte sie die Gunst der Stunde zum Lesen, da ihre Mutter das Haus verlassen hatte, um ihre Base in der Neustadt zu besuchen.
    Bücher hatten sie schon immer fasziniert. Die schweren, in Schweinsleder gebundenen und mit Metallschlössern versehenen Folianten hatten es ihr besonders angetan. Dagegen verblassten die kleineren Quart- und Oktavbände regelrecht, die ihr Vater in den oberen Regalbrettern einsortiert hatte. Sicherlich enthielten auch diese interessante Ideen, und wer etwas zu sagen hat, macht meist nicht viele Worte. Aber wenn Anneliese die Schlösser der dicken Folianten öffnete, die Bücher aufschlug und vorsichtig die Seiten auseinander drückte, vergaß sie alles um sich herum. Sie tauchte in eine völlig andere Welt ein. Theologie, Philosophie, Naturwissenschaft – Werke von
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