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FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter

FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter

Titel: FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter
Autoren: Siegfried Wittwer
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Nicolaus Copernicus, Johannes Kepler, Erasmus von Rotterdam, Martin Luther, Johannes Calvin oder Johann Baptist Fischart, der gegen den Verfall der Sitten angeschrieben hatte – aber auch Memoiren, Historien, Romane und Gedichte nach französischem Vorbild. Sogar kostbare Werke von Hans Thalhofer, Albrecht Dürer und Paulus Hector Mair über die deutsche Schwertkunst fehlten nicht.
    Die Hausbibliothek Carl-Ulrich Stetters war gut sortiert, und das war kein Wunder, war er doch schon in der dritten Generation Drucker. Sein Großvater hatte noch bei Gutenbergs Nachfahren in Mainz die »Schwarze Kunst« erlernt. Den Betrieb hatte dieser dann vom alten Meister Michael Lotther übernommen, der zusammen mit dem Pfarrer von St. Ulrich in der Zeit der Reformation mit seinen Büchern für den lutherischen Glauben gestritten und dabei manchmal auch zum Schwert gegriffen hatte.
    Seitdem war es für Familie Stetter selbstverständlich, von allen gedruckten Büchern ein Exemplar in die eigene Hausbibliothek zu stellen. So war diese im Laufe der Jahrzehnte enorm gewachsen. Viele kostbare Werke hatten die Stetters aber auch von Kollegen aus anderen Städten durch Tausch erhalten. Der Wert der Bibliothek war nicht mit Geld aufzuwiegen. Deshalb hütete Carl-Ulrich Stetter diesen Schatz wie seinen Augapfel.
    Anneliese zog einen dicken Folianten aus dem Regal, öffnete die Messingverschlüsse, schlug die Titelseite auf und las: »Der Siebente Teil aller Bücher und Schrifften des theuren seligen Mann Gottes / Doctoris Martini Lutheri.« Das Buch war 1558 von Christian Rödingers Erben in Jena herausgegeben worden.
    Sie wischte sich eine ihrer schwarzbraunen Locken aus der Stirn und kräuselte ihren fein gezeichneten Mund. Martin Luther – der Mann, der Deutschland verändert hatte! Nicht nur, dass durch ihn das Evangelium wieder neu entdeckt worden war, dass die Bibel ab nun die alleinige Grundlage des Glaubens sein sollte, dass eine neue Kirche entstanden war, aber auch schon seit dreizehn Jahren Krieg in Deutschland herrschte – nein, der Reformator hatte es auch möglich gemacht, dass man etwas anderes denken konnte, als das, was Kirche und Staat in vielen Bereichen des Glaubens, der Philosophie und Wissenschaft bisher vorgeschrieben hatten.
    Anneliese hatte von einem ehemaligen Soldaten des bayerischen Herzogs Maximilian gehört, der nun als Philosoph in Paris lebte. René Descartes war sein Name. Er hatte begonnen, kritische Fragen zu stellen, um die Wahrheit herauszufinden. Der Mann würde alles anzweifeln und mithilfe der Logik überprüfen. Nur so könne man Wahrheit von Irrtum und Täuschung trennen.
    Anneliese seufzte. Leider hatte sie von diesem Mann noch nichts gelesen, falls er überhaupt schon etwas geschrieben hatte. Sollten sich seine Gedanken aber durchsetzen, würde er die Welt verändern. Daran hegte sie keinen Zweifel. Nur zu gerne hätte sie mit Männern wie ihm über Fragen diskutiert, die sie bewegten. Die meisten Männer ihrer Stadt interessierten sich nur für das Anhäufen von Dukaten, ganz gleich ob sie Kaufleute oder Handwerker waren.
    Sie blätterte gedankenverloren durch das dicke Buch. Ihre dunkelbraunen Augen glitten über die Zeilen, ohne wahrzunehmen, was dort geschrieben stand. Plötzlich aber blieb ihr Blick an einem Absatz hängen:
    Also wird es, wie ich leider Sorge, nach dieser Weissagung über Deutschland einmal auch gehen, daß man sagen wird: da liegt das liebe Deutschland zerstöret und verheeret um unserer Undankbarkeit und der Bischöffe, Pfaffen, Tyrannen Wüthens und Tobens willen …
    Deutschland zerstört und verheert wie Jerusalem? Durch die Machenschaften der Geistlichen und Fürsten? Eine Weissagung über den Untergang des Landes? Wer hatte denn so etwas vorausgesagt?
    Sie blätterte die Seiten zurück. Keine Frage, Martin Luther hatte dies geschrieben. Eine Weissagung des Reformators? Sie hatte noch nie gehört, dass Luther ein Prophet gewesen sei.
    Eine Hand legte sich schwer auf ihre Schulter und eine tiefe Stimme dröhnte durch den Raum: »Na, meine Tochter, was liest du denn da?«
    Annliese drehte sich um und blickte mit ihren großen Augen zum bärtigen Gesicht ihres Vaters empor. Carl-Ulrich Stetter war ein Hüne von knapp sieben Fuß, mit breiter Brust und mächtigen Schultern. Er überragte sogar die großen Männer der Stadt um mindestens einen Kopf. Trotz seiner fünfzig Jahre zogen sich nur wenige Silberfäden durch sein schulterlanges, lockiges schwarzes Haar und
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