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FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter

FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter

Titel: FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter
Autoren: Siegfried Wittwer
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sie die zerstörten Häuser sahen. Andere blickten wie versteinert auf die ausgebrannten Ruinen hinter den wenigen Häusern des Domviertels, die noch stehen geblieben waren.
    Eine junge Frau mit ausgezehrtem Gesicht, wirrem Blick und zerzausten Haaren schob sich durch die Menge, bis sie vor Pappenheim und Tilly stand. Sie zeigte zuerst auf den Generalleutnant, dann auf den Feldmarschall und rief mit schriller Stimme:
    Zwei Sterne sah ich fallen,
schon bald im nächsten Jahr,
du mitten in Gefahr,
und du, wenn Nebel wallen.
    »Schafft mir diese Hexe vom Hals!«, befahl Tilly und wandte sich ab. Während zwei Söldner sie wegzerrten, blickte Feldmarschall Pappenheim ihr nachdenklich hinterher.
    Auf Befehl des Generalleutnants verteilten Söldner nun Kommissbrot und Wasser an die Halbverhungerten. Gierig bissen die Menschen in das Brot und schlangen es nur halbgekaut herunter, um ihren Hunger zu stillen.
    Schließlich wurden die Männer von den Frauen abgesondert und in den Bischofs-Hof geführt. Die Frauen und Kinder dagegen brachte man in die Mühlen-Vogtei, wo sie weiter versorgt wurden.
    Kaum waren die Magdeburger weggebracht worden, stiegen Tilly und Pappenheim zusammen mit ihren Offizieren von den Pferden, um den Dom zu betreten. Doch kaum hatten sie den Eingang passiert, schlug ihnen der Gestank von Schweiß, Urin, Kot und Erbrochenem entgegen. Voller Abscheu drehten sie um und kehrten ins Freie zurück.
    »Kapitän!«, rief Tilly und winkte Georg Ackermann zu sich. »Ich hatte Sie vorgestern für die Bewachung des Doms abkommandiert. Jetzt können Sie dafür sorgen, dass das Gebäude wieder von allem Dreck und Kot gereinigt wird. Nehmen Sie dazu die gesunden und kräftigen Männer, die zum Bischofs-Hof geführt worden sind. Den Rest der Männer lassen Sie ins Feldlager bringen.«
    Georg Ackermann nickte und stand stramm, während sich Tilly und sein Stab wieder auf ihre Pferde schwangen und davonritten, gefolgt von Pappenheims Kürassieren. Sobald sie verschwunden waren, gab er den Befehl an Leutnant Münzhofer weiter. Der marschierte mit seiner Kompanie sofort zum Bischofs-Hof, um eine Reinigungsmannschaft zusammenzustellen. Georg Ackermann betrat nun selbst den Dom, um sich ein Bild über dessen Zustand zu verschaffen. Seine beiden Trabanten ließ er draußen, um ihnen den Gestank zu ersparen.
    Es sah schlimm aus, und es stank gewaltig. Überall lagen menschliche Exkremente, Abfälle und Erbrochenes. Es musste die Hölle für die viertausend Menschen gewesen sein! Zweieinhalb Tage und Nächte ohne Wasser und Nahrung, zusammengepfercht wie Vieh. Einige Tote lagen zwischen den Kirchenbänken – Menschen, die verwundet gewesen waren oder zu schwach, um all das Schreckliche zu ertragen.
    Georg Ackermann ging durch das Seitenschiff bis nach vorne. Er wollte das Grab Otto I. sehen. Ob es unbeschädigt geblieben war?
    Er trat von der Seite her in den Raum vor dem Hochaltar. Zwei Frauen saßen in der ersten Reihe des Chorgestühls rechts vom Sarkophag des Kaisers, eine ältere und ein junge. Die ältere Frau war in sich zusammengesunken, ihr Mund und ihre Augen standen offen. Sie war tot. Ihr Herz war wohl zu schwach gewesen.
    Die junge Frau dagegen schien vor Erschöpfung zu schlafen. Sie hatte schwarzbraunes lockiges Haar und einen fein gezeichneten Mund. Auch wenn sie blass und entkräftet aussah, schlug Georg Ackermanns Herz doch schneller, als er sie erblickte. Hatte er diese Frau nicht schon einmal gesehen? Er ging zu ihr hinüber, hockte sich auf den Boden, und betrachtete ihr zartes Gesicht.
    Unerwartet öffnete sie die Augen und lächelte ihn erschöpft, doch freudig überrascht an. Es schien, als wäre es für sie Liebe auf den ersten Blick.
    Mit einem Mal wurde es Georg Ackermann klar: Ja, das war sie, die junge Frau, deren Porträtbild im Haus des toten Hünen auf der Kommode stand. Sie war es, die mit ihrem Lächeln sein Herz so tief berührt hatte, obwohl es nur ein Ölgemälde gewesen war. Er hatte sie gefunden, ihren Blick, ihr warmes Lächeln.
    Ein tiefes Glücksgefühl erfasste ihn, ließ ihn all die Schrecken der vergangenen Tage vergessen. Er hatte nur noch Augen für diese Frau, die so dringend seine Hilfe brauchte. Die ihn mit dem ersten Blick in ihr Herz geschlossen hatte.
    Nein, er würde sie nicht mehr allein lassen, sollte sie tatsächlich seine Gefühle erwidern! Er würde sie auf Händen tragen und ihr alles Glück der Welt schenken.
    In einem ersten, vielleicht törichten Impuls griff er
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