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Franz Sternbalds Wanderungen

Franz Sternbalds Wanderungen

Titel: Franz Sternbalds Wanderungen
Autoren: Ludwig Tieck
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werden.
    Um namentlich von Buonarotti zu sprechen, so glaube ich, daß er durch sein Beispiel die Kunst um viele wichtige Schritte wieder zurückgebracht hat, statt ihr weiterzuhelfen, denn er hat gegen alle Erfordernisse eines guten Kunstwerks gesündigt. Was will die richtige Zeichnung seiner einzelnen Figuren, seine Gelehrsamkeit im Bau des menschlichen Körpers, wenn seine Gemälde selbst so gar nichts sind? Was soll ich aber genießen und fühlen, wenn die Ausführung auch gar keinen Tadel verdiente?«
    »Nichts!« rief Camillo aus, indem er mit dem höchsten Unwillen hervortrat. »Glaubt Ihr, daß der große, der übergroße Buonarotti daran gedacht hat, Euch zu entzücken, als er seine mächtigen Werke entwarf? Oh, ihr Kurzsichtigen, die ihr das Meer in Bechern erschöpfen wollt, die ihr dem Strome der Herrlichkeit seine Ufer macht, welcher unselige Geist ist über euch gekommen, daß ihr also verwegen sein dürft? Ihr glaubt die Kunst zu ergründen, und ergründet nur eure Engherzigkeit, nach dieser soll sich der Geist Gottes richten, der jene erhabene Ebenbilder des Schöpfers beseelt. Ihr lästert die Kunst, wenn ihr sie erhebt, sie ist nur ein Spiel eurer nichtigen Eitelkeit. Wie der Allmächtige den Sünder duldet, so erlaubt auch Angelos Größe, seine unsterblichen Werke, seine Riesengestalten dulden es, daß ihr so von ihnen sprechen dürft, und beides ist wunderbar.«
    Er verließ im Zorne den Saal, und alle erhuben ein lautes Lachen. »Was er nicht versteht«, sagte Sternbalds Nachbar, »hält er für Unsinn.« Sternbald aber war von den Worten und den Gebärden des Greises tief ergriffen, dieser enthusiastische Unwille hatte ihn mit angefaßt, er verließ schnell die Gesellschaft, ohne sich zu entschuldigen, ohne Abschied zu nehmen.
    Er ging dem Alten durch die Straßen nach, und traf ihn in der Nähe des Vatikans. »Verzeiht«, sagte Sternbald, »daß ich Euch anrede, ich gehöre nicht zu jenen, meine Meinung ist nicht die ihrige, immer hat sich mein Herz dagegen empört, so mit dem Ehrwürdigsten der Welt umzugehn.«
    »Ich war ein Tor«, sagte der Greis, »daß ich mich wieder, wie mir oft geschieht, von meiner Hitze übereilen ließ. Wozu Worte? Wer versteht die Rede des andern?«
    Er nahm Franz bei der Hand, sie gingen durch das große Vatikan, der Alte eilte nach der Kapelle des Sixtus. Schon fiel der Abend und seine Dämmerung herein, die großen Säle waren nur ungewiß erleuchtet. Er stellte ihn vor die Propheten und Sibyllen, und ging schweigend wieder fort.
    In der ruhigen Einsamkeit schaute Sternbald das erhabene Gedicht mit demütigen Augen an. Die großen Gestalten schienen sich von oben herabzubewegen. Er stand da, und bat den Figuren, dem Geiste Michael Angelos seine Verirrung ab.
    Die großen Apostel an der Decke sahen ihn ernst mit ihren ewigen Zügen und Mienen an, die Schöpfungsgeschichte lag wunderbar da, der Allmächtige auf dem Sturmwinde herfahrend. Er fühlte sich innerlich neu verändert, neu geschaffen, noch nie war die Kunst so mit Heeresmacht auf ihn zugekommen.
    »Hier hast du dich verklärt, Buonarotti, großer Eingeweihter«, sagte Franz, »hier schweben deine furchtbaren Rätsel, du kümmerst dich nicht darum, wer sie versteht.«

Sechstes Kapitel
    Franz fand den bisherigen Leichtsinn seiner Lebensweise nüchtern und ungenügend, er bereute manche Stunde, er nahm sich vor, sich inniger der Kunst zu widmen. Er brach den Umgang mit der schönen Lenore ab, er fühlte es innig, daß er sie nicht liebe. Sein Freund Castellani verspottete ihn, und bedauerte seine Anlagen, die nun notwendig verderben müßten, aber Franz empfand die Leerheit dieses Menschen, und achtete jetzt nicht darauf.
    Eine neue Liebe zur Kunst erwachte in ihm, sein Jugendleben in Nürnberg, sein Freund Sebastian traten mit frischer Lieblichkeit vor seine Seele. Er machte sich Vorwürfe, daß er bisher so oft Dürer und Sebastian aus seinem Gedächtnisse verloren. Er nahm seine geliebte Schreibtafel hervor, und küßte sie, die verwelkten Blumen rührten ihn zu Tränen: »Ach, du bist nun auch verwelkt und dahin!« seufzte er. Auch das Bildnis, das er vom Berge mitgenommen hatte, stellte er vor sich. – Ihm fiel der Brief der Gräfin in die Hände, den er bis dahin ganz vergessen hatte.
    Er beschloß, die Familie noch an diesem Tage aufzusuchen, er fühlte ein Bedürfnis nach neuen Freunden. Franz nahm den Brief und erkundigte sich nach der Wohnung, sie ward ihm bezeichnet. Die Leute, die er suchte,
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