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Franz Sternbalds Wanderungen

Franz Sternbalds Wanderungen

Titel: Franz Sternbalds Wanderungen
Autoren: Ludwig Tieck
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der Ferne noch immer lieb behalten?« konnte er sich nicht mehr fassen, sondern fiel dem Fragenden mit lautem Schluchzen um den Hals und ergoß sich in tausend Tränen, er zitterte, es war, als wenn ihm das Herz zerspringen wollte. Sebastian hielt ihn fest in seinen Armen, und mußte mit ihm weinen, ob er gleich älter und von einer härteren Konstitution war. »Komme wieder zu dir!« sagte er endlich zu seinem Freunde, »wir müssen uns fassen, wir sehn uns ja wohl wieder.«
    Franz antwortete nicht, sondern trocknete seine Tränen ab, ohne sein Gesicht zu zeigen. Es liegt im Schmerze etwas, dessen sich der Mensch schämt, er mag seine Tränen auch vor seinem Busenfreunde, auch wenn sie diesem gehören, gern verbergen.
    Sie erinnerten sich nun daran, wie sie schon oft von dieser Reise gesprochen hätten, wie sie ihnen also nichts weniger als unerwartet käme, wie sehr sie Franz gewünscht und sie immer als sein höchstes Glück angesehn habe. Sebastian konnte nicht begreifen, warum sie jetzt so traurig wären, da im Grunde nichts vorgefallen sei, als daß nun endlich der langgewünschte Augenblick wirklich herbeigekommen sei. Aber so ist das Glück des Menschen, er kann sich dessen nur freuen, wenn es aus der Ferne auf ihn zuwandelt; kömmt es ihm nahe und ergreift seine Hand, so schaudert er oft zusammen, als wenn er die Hand des Todes faßte.
    »Soll ich dir die Wahrheit gestehn?« fuhr Franz fort; »du glaubst nicht, wie seltsam mir gestern abend zu Sinne war. Ich hatte meinen Gedanken so oft die Pracht Roms, den Glanz Italiens vorgemalt, ich konnte mich bei der Arbeit ganz darin verlieren, daß ich mir vorstellte, wie ich auf unbekannten Fußsteigen, durch schattige Wälder wanderte, und dann fremde Städte und niegesehene Menschen meinem Blicke begegneten; ach, die bunte, ewig wechselnde Welt mit ihren noch unbekannten Begebenheiten, die Künstler, die ich sehn würde, das hohe gelobte Land der Römer, wo einst die Helden wirklich und wahrhaftig gewandelt, deren Bilder mir schon Tränen entlockt hatten; sieh, alles dies zusammen hatte oft so meine Gedanken gefangengenommen, daß ich zuweilen nicht wußte, wo ich war, wenn ich wieder aufsah. ›Und das alles soll wirklich werden!‹ rief ich dann manchmal aus, ›es soll eine Zeit geben können, sie tritt schon näher und näher, in der du nicht mehr vor der alten, so wohlbekannten Staffelei sitzest, eine Zeit, wo du in alle die Herrlichkeit hineinleben darfst und immer mehr sehn, mehr erfahren, nie aufwachen, wie es dir jetzt wohl geschieht, wenn du so zuzeiten von Italien träumst; – ach, wo, wo bekömmst du Sinne, Gefühle genug her, um alles treu und wahr, lebendig und urkräftig aufzufassen?‹ – Und dann war es, als wenn sich Herz und Geist innerlich ausdehnten und wie mit Armen jene zukünftige Zeit erhaschen, an sich reißen wollten; und nun –«
    »Und nun, Franz?«
    »Kann ich es dir sagen?« antwortete jener – »kann ich es selber ergründen? Als wir gestern abend um den runden Tisch unsers Dürers saßen und er mir noch Lehren zur Reise gab, als die Hausfrau indes den Braten schnitt und sich nach dem Kuchen erkundigte, den sie zu meiner Abreise gebacken hatte, als du nicht essen konntest, und mich immer von der Seite betrachtetest; o Sebastian, es wollte mir ganz mein armes ehrliches Herz zerreißen. Die Hausfrau kam mir so gut vor, so oft sie auch mit mir gescholten, so oft sie auch unsern braven Meister betrübt hatte; hatte sie mir doch selbst meine Wäsche eingepackt, war sie doch gerührt, daß ich abreisen wollte. Nun war unsre Mahlzeit geendigt, und wir alle waren nicht fröhlich gewesen, sosehr wir es auch uns erst in vielen Worten vorgesetzt hatten. Jetzt nahm ich Abschied von Meister Albrecht, ich wollte so hart sein und konnte vor Tränen nicht reden; ach mir fiel es zu sehr ein, wie viel ich ihm zu danken hatte, was er ein vortrefflicher Mann ist, wie herrlich er malt, und ich so nichts gegen ihn bin und er doch in den letzten Wochen immer tat, als wenn ich seinesgleichen wäre; ich hatte das alles noch nie so zusammen empfunden, und nun warf es mich dafür auch gänzlich zu Boden. Ich ging fort und du gingst stillschweigend in deine Schlafkammer: nun war ich auf meiner Stube allein. ›Keinen Abend werd ich mehr hier hereintreten‹, sagte ich zu mir selber, indem ich das Licht auf den Boden stellte; ›für dich, Franz, ist nun dieses Bette zum letzten Male in Ordnung gelegt, du wirfst dich noch einmal hinein und siehst diese
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