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Franz Sternbalds Wanderungen

Franz Sternbalds Wanderungen

Titel: Franz Sternbalds Wanderungen
Autoren: Ludwig Tieck
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Kinder waren gegen die Alten ehrerbietig, man fühlte es, wie der Geist einer schönen Eintracht sie alle beherrschte.
    Als es finster geworden war, vermehrte ein eisgrauer Nachbar die Gesellschaft, um den sich besonders die Kinder drängten und verlangten, daß er ihnen wieder eine Geschichte erzählen solle; die Alten mischten sich auch darunter und baten, daß er ihnen wieder von heiligen Märtyrern vorsagen möchte, nichts Neues, sondern was er ihnen schon oft erzählt habe, je öfter sie es hörten, je lieber würde es ihnen. Der Nachbar war auch willig und trug die Geschichte der heiligen Genoveva vor, dann des heiligen Laurentius, und alle waren in tiefer Andacht verloren. Franz war überaus gerührt. Noch in derselben Nacht fing er einen Brief für seinen Freund Sebastian an, am Morgen nahm er herzlich von seinen Wirten Abschied, und kam am folgenden Tage in eine kleine Stadt, wo er den Brief an seinen Freund beschloß. Wir teilen unsern Lesern diesen Brief mit.
     
    Liebster Bruder!
    Ich bin erst seit so kurzer Zeit von Dir und doch dünkt es mir schon so lange zu sein. Ich habe Dir eigentlich nichts zu schreiben und kann es doch nicht unterlassen, denn Dein eignes Herz kann Dir alles sagen, was Du in meinem Briefe finden solltest, wie ich immer an Dich denke, wie unaufhörlich das Bild meines teuren Meisters und Lehrers vor mir steht. Ein Schmiedegeselle wird Euch besucht haben, den ich am ersten Tage traf, ich denke Ihr habt ihn freundlich aufgenommen um meinetwillen. Ich schreibe diesen Brief in der Nacht, beim Schein des Vollmonds, indem meine Seele überaus beruhigt ist; ich bin hier auf einem Dorfe bei einem Bauer, mit dem ich vier Meilen hiehergefahren bin. Alle im Hause schlafen, und ich fühle mich noch so munter, darum will ich noch einige Zeit wach bleiben. Lieber Sebastian, es ist um das Treiben und Leben der Menschen eine eigene Sache. Wie die meisten so gänzlich ihres Zwecks verfehlen, wie sie nur immer suchen und nie finden, und wie sie selbst das Gefundene nicht achten mögen, wenn sie ja so glücklich sind. Ich kann mich immer nicht darin finden, warum es nicht besser ist, warum sie nicht zu ihrem eigenen Glücke mit sich einiger werden. Wie lebt mein Bauer hier für sich und ist zufrieden, und ist wahrhaft glücklich. Er ist nicht bloß glücklich, weil er sich an diesen Zustand gewöhnt hat, weil er nichts Besseres kennt, weil er sich findet, sondern alles ist ihm recht, weil er innerlich von Herzen vergnügt ist, und weil ihm Unzufriedenheit mit sich etwas Fremdes ist. Nur Nürnberg wünscht er vor seinem Tode noch zu sehen und lebt doch so nahe dabei; wie mich das gerührt hat!
    Wir sprechen immer von einer goldenen Zeit, und denken sie uns so weit weg, und malen sie uns mit so sonderbaren und buntgrellen Farben aus. O teurer Sebastian, oft dicht vor unsern Füßen liegt dieses wundervolle Land, nach dem wir jenseit des Ozeans und jenseit der Sündflut mit sehnsüchtigen Augen suchen. Es ist nur das, daß wir nicht redlich mit uns selber umgehen. Warum ängstigen wir uns in unsern Verhältnissen so ab, um nur das bißchen Brot zu haben, das wir darüber selber nicht einmal in Ruhe verzehren können? Warum treten wir denn nicht manchmal aus uns heraus und schütteln alles das ab, was uns quält und drückt, und holen darüber frischen Atem, und fühlen die himmlische Freiheit, die uns eigentlich angeboren ist? Dann müssen wir der Kriege und Schlachten, der Zänkereien und Verleumdungen auf einige Zeit vergessen, alles hinter uns lassen und die Augen davor zudrücken, daß es in dieser Welt so wild hergeht und sich alles toll und verworren durcheinanderschiebt, damit irgendeinmal der himmlische Friede eine Gelegenheit fände, sich auf uns herabzusenken und mit seinen süßen lieblichen Flügeln zu umarmen. Aber wir wollen uns gern immer mehr in dem Wirrwarr der gewöhnlichen Welthändel verstricken, wir ziehn selber einen Flor über den Spiegel, der aus den Wolken herunterhängt, und in welchem Gottheit und Natur uns ihre himmlischen Angesichter zeigen, damit wir nur die Eitelkeiten der Welt desto wichtiger finden dürfen. So kann der Menschengeist sich nicht aus dem Staube aufrichten und getrost zu den Sternen hinblicken und seine Verwandtschaft zu ihnen empfinden. Er kann die Kunst nicht lieben, da er das nicht liebt, was ihn von der Verworrenheit erlöst, denn mit diesem seligen Frieden ist die Kunst verwandt. Du glaubst nicht, wie gern ich jetzt etwas malen möchte, was so ganz den
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