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Franz Sternbalds Wanderungen

Franz Sternbalds Wanderungen

Titel: Franz Sternbalds Wanderungen
Autoren: Ludwig Tieck
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nichts verbarg. Er hatte in Rom viele Bekannte, meistens junge Leute, die sich an ihn schlossen, ihn oft besuchten und gewissermaßen eine Schule oder Akademie um ihn bildeten. Auch ein gewisser Camillo, dessen Andrea del Sarto schon erwähnt hatte, besuchte ihn. Dieser Camillo war ein Greis, lang und stark, der Ausdruck seiner Mienen hatte etwas Seltsames, seine großen feurigen Augen konnten erschrecken, wenn er sie plötzlich herumrollte. Seine Art zu sprechen war ebenso auffallend, er galt bei allen seinen Bekannten für wahnsinnig, sie behandelten ihn als einen Unverständigen, den man schonen müsse, weil er der Schwächere sei. Er sprach wenig, und hörte nur zu, Castellani war freundlich gegen ihn, nahm aber sonst mit ihm wenige Rücksicht.
    Sternbald besuchte die Kirchen, die Gemäldesammlungen, die Maler. Er konnte nicht zur Ruhe kommen, er sah und erfuhr so viel, daß er nicht Zeit hatte, seine Vorstellungen zu ordnen. Dabei gab er sich Mühe, mit jedem Tage in seinen Begriffen weiterzukommen, und in das eigentliche Wesen und die Natur der Kunst einzudringen. Er fühlte sich zu Castellani freundschaftlich hingezogen, weil er durch diesen am meisten in seiner Ausbildung, in der Erkenntnis gewann; er besuchte die Gesellschaften fleißig, und bestrebte sich, kein Wort, nichts, was er dort lernte, wieder zu verlieren.
    Castellanis Begriffe von der Kunst waren so erhaben, daß er keinen der lebenden oder gestorbenen Künstler für ein Musterbild, für vollendet wollte gelten lassen. Er belächelte oft Sternbalds Heftigkeit, der ihm Raffael, Buonarotti, oder gar Albrecht Dürer nannte, der sich ungern in Vergleichungen einließ, und meinte, jeder sei für sich der Höchste und Trefflichste. »Ihr seid noch jung«, sagte dann sein älterer Freund, »wenn Ihr weiterkommt, werdet Ihr statt der Künstler die Kunst verehren, und einsehn, wie viel noch einem jeden gebricht.«
    Sternbald gewöhnte sich mit einiger Überwindung an seine Art zu denken, er zwang sich, nicht heftig zu sein, nicht seine Gefühle sprechen zu lassen, wenn sein Verstand und Urteil in Anspruch genommen wurden. Er sah jetzt mehr als jemals ein, wie weit er in der Kunst zurück sei, ja wie wenig die Künstler selbst von ihrer Beschäftigung Rechenschaft geben könnten.
    Es ward so eingerichtet, daß sich die Gesellschaft zweimal in der Woche versammelte, und jedesmal wurde über die Kunst disputiert, wobei sich Castellani besonders mit seinen Reden hervortat. Sie waren an einem Nachmittage wieder versammelt, auch Camillo war zugegen, der abseits in einer Ecke stand und kaum hinzuhören schien.
    »Wenn man«, sprach Castellani, »erst mehr die Frage untersuchen wird: Was soll Kunst sein? was kann sie sein? so werden wir auf diesem Wege weiterkommen. Ich bin gar nicht in Abrede, und es wäre töricht von mir, dergleichen zu leugnen, daß Michael Angelo ein ausgezeichneter Geist ist, nur ist es wohl Übereilung des Zeitalters, ihn und Raffael über alle übrigen Sterblichen hinüberzuheben, und zu sagen: seht, sie haben die Kunst erfüllt!
    Jegliche Kunst hat ihr eigentümliches Gebiet, ihre Grenzen, über die sie nicht hinausschreiten darf, ohne sich zu versündigen. So die Poesie, Musik, Skulptur und Malerei. Keiner muß in das Gebiet des andern streifen, jeder Künstler muß seine Heimat kennen. Dann muß jeglicher die Frage genau untersuchen: was er mit seinen Mitteln für vernünftige Menschen zu leisten imstande ist. Er wird seine Historie wählen, er wird den Gegenstand überdenken, um sich keine Unwahrscheinlichkeiten zuschulden kommen zu lassen, um nicht durch Einwürfe des kalten, richtenden Verstandes seinen Zauber der Komposition wieder zu zerstören. Den Gegenstand gut zu wählen ist aber nicht genug, auch den Augenblick seiner Handlung muß er fleißig überdenken, damit er den größten, interessantesten heraushebe, und nicht am Ende male, was sich nicht darstellen läßt. Dazu muß er die Menschen kennen, er muß sein Gemüt und fremde Gesinnungen beobachtet haben, um den Eindruck hervorzubringen, dann wird er mit gereinigtem Geschmacke das Bizarre vermeiden, er wird nur täuschen und hinreißen, rühren aber nicht erstaunen wollen. Nach meinem wohlüberdachten Urteil hat noch keiner unsrer Maler alle diese Forderungen erfüllt, und wie könnte es irgendeiner, da sich noch keiner der erstgenannten Studien beflissen hat? Diese müssen erst in einem hohen Grade ausgebildet sein, ehe die Künstler nur diese Forderungen anerkennen
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