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Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Titel: Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
Autoren: Unbekannter Autor
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und sah mich um.
    Selbst hier unten in diesem steinernen Irrgarten konnte ich den Schlachtenlärm von oben hören. War da noch etwas anderes? Ein Wimmern vielleicht? Statt denselben Weg zurückzugehen, folgte ich dem Klang, der durch die Mauern zu mir drang, und wagte mich dabei Schritt um Schritt tiefer in das Labyrinth vor. War Dion darauf gestoßen, als er hier unten Steine gebrochen hatte?
    Ich blieb stehen und lauschte. Hatte ich nicht ein Keuchen, ein Stöhnen gehört? Ich schlich ein paar Schritte weiter vor. Ja. Nachdem ich ein paar weitere Kurven in diesem Gewirr von
    Gängen umrundet hatte, sah ich sie zusammengerollt auf dem Boden liegen. »RaEm?«, fragte ich.
    Sie drehte sich zu mir um, und ich hätte mich um ein Haar übergeben. Sie würde nirgendwohin verschwinden. Nie wieder. »Mein Gott«, hauchte ich.
    »Es ist dein Gott.«
    Sie krächzte nur noch. »Er ist dein Gott, und er liebt dich, genau wie deine kalte moderne Welt und dein -« Sie zischte vor Schmerz.
    »Spar dir die Flüche«, sagte ich. »Du liegst im -«
    »Im Sterben. Ja, ich weiß.«
    Sie war versengt, die rechte Hälfte ihres Körpers war schwarz gebrannt. Ihre Hand hatte sich in eine verkohlte Klaue verwandelt, mit der sie die rechte Hälfte ihres Gesichts umfasste. Ich war froh, dass das Licht so schlecht war. Irgendwas stimmte auf groteske Weise mit ihrem Gesicht nicht. »Wieso?« Ich starrte sie an. »Du warst ägyptischer Pharao. Wie hast du es so weit gebracht?«
    »Du kennst doch das Sprichwort«, antwortete sie auf Englisch. »Geld erbt man oder heiratet man.«
    »Du hast es geheiratet?«
    »Meritaton, das Balg.«
    Ich hatte mich doch verhört - oder? »Ein Mädchen?«
    Sie schnaubte. »Wieso wundert dich das?«
    »Weil du eine Frau bist! Hat sie das überhaupt gewusst? Bist du lesbisch?«
    »Ich bin doch nicht verrückt! Natürlich hat sie nichts gewusst.«
    »Du hast also die Ehe nicht vollzogen?«
    »Natürlich habe ich das.«
    Mein verwirrtes Schweigen brachte sie zum Reden.
    »Du bist eine Idiotin. Sie war ein unerfahrenes Kind. Ich brauchte nur die Vorhänge zuzuziehen, die Lichter zu löschen und das mit ihr zu machen, was ich mit ihr gemacht habe.« »O mein Gott.« Ich sah sie entsetzt an.
    RaEm wimmerte kurz und schluckte die Tränen hinunter.
    »Aber dann ist diese Flasche gestorben.«
    »Das tut mir Leid.« Vielleicht kannte ich nicht die ganze Geschichte. »Das war bestimmt sehr schwierig für dich?«, meinte ich zaghaft.
    »Natürlich. Echnaton war verzagt; und alle haben ihm die Stiefel geleckt. Es war wirklich schrecklich.«
    »Wieso ist sie ...«
    »Sie konnte nicht schwanger werden.« RaEm zuckte mit den Achseln. »Also hat sie die Überdosis eines Schlaftrunks genommen, den ich aufbewahrt hatte. Weshalb ich gezwungen war« - sie wand sich - »so zu tun, als sei sie an der Pest gestorben.«
    Ich brauchte ein paar Sekunden, um das zu verdauen.
    »Du bist krank«, flüsterte ich. In ihrer Nähe zu sein bereitete mir eine Gänsehaut.
    Sie drehte sich zu mir um, mit einem zur Hälfte makellosen, bezaubernden Gesicht, einem Gesicht, das mich ein Jahr lang aus dem Wasserspiegel angeblickt hatte; die andere Hälfte war verkrustet und dort, wo sich die Haut nicht abschälte, von Blasen bedeckt. »Du bist nicht anders als ich«, sagte sie. »Du hättest genauso gehandelt, dieselben Entscheidungen getroffen. Dein Leben war leichter, deshalb glaubst du, über mich urteilen zu können.«
    Ich starrte ihr ins Gesicht. »Ich wünschte, du hättest jetzt einen Spiegel, RaEm. Denn dies ist dein wirkliches Gesicht. Zutiefst verrottet unter einer dünnen Schicht äußerlicher Schönheit.« Ich stand auf. »Es gibt keine Entschuldigung. Wie hast du nur glauben können, du würdest damit durchkommen? Du hast ein Kind in den Selbstmord getrieben? Du hast versucht, die Bundeslade in die Luft zu jagen?«
    »Vergiss nicht die Morde und das Auspeitschen«, sagte sie.
    »Und du gibst noch damit an! Wie hast du nur glauben können, du könntest damit durchkommen? Was hat dich über alle moralischen Gesetze gestellt?«
    »Da stand ich schon immer.«
    Ich trat einen Schritt zurück.
    »Avaryra goreret avayra«, murmelte ich.
    »Lass mich nicht allein.« Plötzlich schien sie in Panik zu geraten.
    Ich machte einen weiteren Schritt zurück.
    »Bitte, geh nicht. Ich sterbe. Lass mich nicht allein sterben.«
    Noch ein Schritt zurück. »Dieses Kind, Mary -«
    »Meritaton.«
    »Hat ihr jemand die Hand gehalten?«
    »Du verstehst das nicht
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