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Fraeulein Stark

Titel: Fraeulein Stark
Autoren: Thomas Huerlimann
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Mädchen kennen, sie war aus Zürich, er verliebte sich in sie und wollte ihr etwas schenken. Da er außer dem Fetzen Stoffnichts hatte -wie ein Fahnenträger hatte er das Innenfutter vom Schlachtfeld seines Lebens gerettet -, nähte er die fadenscheinigen Teile schlau und geschickt zu einem Dessous zusammen und zog es seiner Angebeteten, bevor sie auf- und davonspringen konnte, über die weißen Schnürstiefelchen unter die Röcke. Sie sah ihn erschrocken an, fühlte aber die schlanken, warmen Hände, die ihr das Dessous um die Hüften legten, und ließ ihn gewähren. Nein, heiraten wollte sie ihn nicht, er war ja kein Hiesiger, doch war sie schließlich bereit, dem kränkelnden Katz erst zu einer Kur und dann zu einem Kredit zu verhelfen. Auch ihre Freundinnen, das ahnte sie gleich, würden sich liebend gern so ein Sündenhöschen unter die Röcke ziehen lassen. Sie war eine stramme Zwinglianerin, zugeknöpft bis zum Kinn, fromm, streng, geschäftstüchtig, vermählte sich kurz danach einem aufstrebenden Landsmann, und Sender Katz mußte froh sein, ein armes Mädel zu bekommen und durch die Heirat den Gewerbeschein für eine Schneiderwerkstatt. Die Frau, die ihn finanzierte, wohnte bald in einer Villa, und Katz versuchte nach getaner Arbeit zwischen brüllenden Kindern und tropfenden Windeln die Sehnsucht nach der Ebene zu verbeißen. Der Wind jammerte Melodien durch seinen Kopf, und wenn er mit müden, zunehmend schlechteren Augen ein Stück Seide betrachtete, meinte er immer öfter den Himmel darin zu sehen, den unendlich hohen Himmel des Ostens, unter dem die Acker zu Furchen wurden und im Dunst fern und grau verrannen. Das hätte Katz gern in Töne gesetzt, gemalt oder wenigstens beschrieben, aber die Besitzerin seiner Arbeitskraft lebte im rechtschaffenen Glauben, geschickte Finger seien nicht für die Kunst, sondern zum Arbeiten geschaffen. Fast täglich brachte sie eine Freundin in die Werkstatt, dann schlüpften die beiden Frauen hinter den Vorhang und probierten kichernd an, was Katz genäht hatte. Das Geschäft kam in Schwung. Nach außen gaben sich die Weiber der protestantischen Krämerstadt bürstig, aber offensichtlich gefiel es ihnen, im verborgenen ein Sündenhöschen zu tragen, einen luftigen Silberschimmer, den Sender Katz, wie er ihnen flüsternd erklärte, dem östlichen Himmel entrissen hatte. Bald füllten erste Namen die Kundenkartei, untendrunter hatte man einen Katz, und einzig er selbst, der in einer engen Gasse bei blakenden
    Petroleumlampen vom frühen Morgen bis tief in die Nacht hinein entwerfen und zuschneiden und nähen mußte, hatte nichts davon. Sicher, am Hunger nagten sie nicht, die Besitzerin war rechtschaffen, alles andere als ein Unmensch, sie wollte ihren Dessous-Schneider nicht aussaugen, sie gab ihm Arbeit und nahm es hin, daß sich seine Dankbarkeit in Grenzen hielt. Aber das Heimweh hatte Sender Katz immer fester im Würgegriff, nicht Heimweh nach einem Land, Heimweh nach dem Himmel, und da seine Frau gemeint hatte, er würde wieder die ganze Nacht durcharbeiten, fand man ihn erst am nächsten Vormittag. Sender Katz saß im Schneidersitz auf dem Tisch, in der Hand ein Stück Morgenhimmel, silbrig blau und silbrig rot. Der kleine Ofen war längst erloschen, die Leiche war schon kalt und steif. Da mußten sie ihm, um den verknoteten Körper in den Sarg zu bekommen, sämtliche Knochen brechen, und so ist Sender Katz, unser Urahne, als vielfach gebrochener Mann in einer ihm fremden Erde begraben worden.

52
    Die vornehme Dame, für die er gearbeitet hatte, erklärte sich großmütig bereit, die geschuldeten Werkstattzinsen zu vergessen, und ließ Katzens Witwe samt Bagage erst nach Ablauf eines halben Trauerjahres auf die Straße setzen. Die Witwe packte den Rest ihrer Habe und die kleineren Kinder auf einen Leiterwagen und verließ -es war an einem Samstagmorgen im Sommer - die glockenläutende, untendrunter Katz tragende Stadt. Neben ihr ging Joseph, ihr Ältester. Sie schleppten den Karren gemeinsam, Joseph vorn, an der Deichsel, sie hinten, den Kopf zwischen die gestreckten Arme gebeugt, heimzu wollten sie, unter den hohen Himmel der winddurchheulten Ebene, von der Sender Katz zeit seines Lebens gesprochen hatte.
    Sie haben die Ebene erreicht, aber es war die Linth-Ebene, und so weit und tief wie in den Erzählungen von Sender Katz wurde sie nur im Nebel. Nach dem Tod der Mutter und dem Verschwinden der beiden Geschwister ging Joseph, der älteste Sohn des Sender, immer
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