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Fraeulein Stark

Titel: Fraeulein Stark
Autoren: Thomas Huerlimann
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die gleichen Wege ab, auch im Winter, wenn die Sümpfe zugefroren waren, wollte er festen Boden unter den Füßen haben, sicheren Grund -doch vom Wasser oder von der Ebene kam Joseph Katz nicht los, nie mehr. Als die Seidenfabrik in Konkurs gegangen war, wurde er Bademeister, zog sich eine froschgrüne Gummikappe über den Schädel und starrte durch runde, tiefschwarze Gläser auf den Weiher hinaus.
    Er schaffte es, die Badeanstalt und einige Flüchtlinge durch den Krieg zu bringen, und tatsächlich waren die Bomben auf das untergehende Nazireich ein gutes Geschäft für ihn, vermutlich das einzige seines Lebens. Aber die Angst vor Tasso Birri hatte ihn müde und alt gemacht, und immer öfter kam es vor, daß er sich wie ein Flüchtling auf die karussellrunde Bank unter den Nußbaum setzte und geduldig darauf wartete, endlich unter den Sonnenschirm gerufen zu werden. Sein Sohn Jacobus hatte sich ganz den Wörtern verschrieben, hielt glanzvolle Reden, parlierte in allen Weltsprachen, führte erste Geister durch die Bibliothek, Fürstinnen und Generäle, während er, der Alte, mit seiner Appenzeller Pfeife immer stummer wurde und schließlich so versteint in der Landschaft hockte wie der alte Stark in seiner Stube. Ob das Gesetz des Augustinus auch für Sachen galt? Für den Alten schon. Er konnte lang und konzentriert etwas betrachten, zum Beispiel eine Flasche Schnaps, und wurde er mal gefragt, was denn so interessant sei an dieser Flasche, konnte er die Frage nicht verstehen. Eine Flasche soll das sein? Nein, für ihn gab es keine Gegenwart mehr, nicht einmal beim Nunu-Zeug. Aber das ist doch (leise): feinster Stoff, sagte der ehemalige Seidenfabrikant und betrachtete lächelnd die Schnapsflasche, ein Dessous aus der berühmten Sender-Linie.
    Zwei drei Köpfe schwammen auf dem Weiher, ein gedunsener Körper trieb rücklings auf den Steg zu, und einer mußte gerade vom Turm gesprungen sein, hoch oben wippte das Brett, ein leises Geknatter -so stand es hinaus in den Glast.
    Nun saß der Alte unter seinem Sonnenschirm, und auf der karussellrunden Bank hatten Trinker ihren Abendplatz eingenommen, ein Kreis um den alten Baum herum, stumm auch sie, müde und ausgezehrt. Sie hatten sich im Kiosk mit Flaschen versorgt, hatten auch dem Alten eine gegeben, jetzt legten alle die Köpfe in den Nacken, stießen den Flaschenhals in den Mund und sahen, als würden sie etwas sehr Schönes träumen, durch geschlossene Augen zum Himmel hinauf. Wieder knatterte das Brett, wieder schloff ein Springer ins Wasser, dann flogen von der Liegewiese die wenigen Badetücher weg, die wenigen Schirme wurden eingefaltet, die Liege’ stuhle zusammengeklappt, aber den Alten und die Trinker schien das nicht zu kümmern, sie tranken weiter, bis jeder seine Flasche auf den letzten Schluck geleert hatte. Indes rutschte die Sonne tiefer, und da ihre Strahlen bald waagrecht in den Hang stachen, sank Großvaters Badeanstalt wie unter einem Sonnensegel in eine grünschattige Kühle hinab. Die Badegäste waren durch ihre Kleider andere, einander fremde Menschen geworden, traten nun aus nachtdunklen Kabinen, blieben kurz stehen, dann würden sie zum Damm hochgehen und im Himmel verschwinden. Nichts bewegte sich. Die Fahne tot. In den Blättern kein Hauch -und die Trinker, jeder eine leere Flasche in der Hand, hingen um den Nußbaum herum wie ein Kranz verwelkter Blumen. Aber irgendwann würde unten in der Stadt die Glocke schlagen, und mit drei langen, die Wasservögel aufschreckenden Pfiffen würde mein Großvater bekanntgeben, daß die Anstalt geschlossen sei.

53
    Ende der Saison. Keine Hochzeitspaare mehr, keine Japaner, keine Schulreisen. An einem trüben Vormittag hatte die Hochtoupierte ihreÜberzieh-Pantoffeln abgeschüttelt, ohne Dank, ohne Blick, und war mit ihrer Gruppe davongeschritten, viele mit knirschenden Gummischuhen, manche schon mit Stiefeln, es regnete, es herbstete, die Tür fiel ms Schloß, im Treppenhaus entfernten sich die Schritte, es würde Frühling, bis sie wiederkämen, März oder April. Rüstig nur noch der Besserwisser, im Sturmschritt von Vitrine zu Vitrine rutschend, komm doch mal her, Elfriede, na komm schon, schau, hier, auf dem Fenstersims steht das berühmte Ecce-homo-Bild des Johann Michael Büchler aus Schwäbisch Gmündt, der in die Haare, den Bart, die Augenbrauen des dornengekrönten Hauptes die vollständige Passionsgeschichte eingeschrieben hat, mit der Feder, in Mikroschrift, lesbar nur mit einer stark
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