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Fraeulein Stark

Titel: Fraeulein Stark
Autoren: Thomas Huerlimann
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Gebets-, Jugend-und Seelenführer landesweit geschätzt. Alle würden wir eine Kutte tragen und schwarze, von den Müttern und Tanten gestrickte Knie-Strümpfe. Vielleicht würden sie rutschen, Kniestrümpfe rutschen ja immer, und gewiß würde es unser Herr Pater Präfekt mit Wohlgefallen vernehmen, wenn ich den Kameraden erklären konnte, daß Immanuel Kant, der Vernunftphilosoph, nicht nur das Strumpfgürtelchen, sondern auch das Sittengesetz erfunden habe.
    Nunu, dachte ich, sie werden schon merken, daß ich einer von ihnen bin.

55
    Die letzten Tage liefen ab wie die Tage zuvor. Frühmorgens rollte im bodenlangen Nachthemd rundbäuchig der Onkel in meinen Schlaf: Salve nepos, carpe diem! Dann erklomm er die Altarstufen, die Meßgewänder mit der Linken raffend, hob den Kelch, jubelte das Wandlungswort, geriet in Verzückung, und ich, mit meinen Schellen klingelnd, senkte den Blick. Nach der Messe trank ich beim Fräulein meine Milch, und er, ein paar erste Zigaretten paffend, genoß das Frühstück des gesunden Menschenverstandes, die »Ostschweiz«. Punkt neun begann der Dienst, und wiewohl die Busse und die Besucherinnen erst im nächsten Frühling wiederkommen würden, im März oder April, nahmen die beiden Empfangsdiener gehorsam ihre Plätze ein, müde wie eh und je, eine uralte, längst erloschene Verzweiflung im Gesicht, Zirkusmützen auf den Schädeln, grüne Jacken, grüne Hosen, und an den herabhängenden, erstaunlich langen Armen hatten sie leuchtend weiße, immer frisch gewaschene Handschuhe. Ob das Fräulein in meinem Koffer gewühlt, die verklebten Kniestrümpfe entdeckt hatte? Möglich, gewiß, allerdings war allgemein bekannt, daß sie in diesen letzten Septembertagen mit anderen Dingen beschäftigt war, nicht mehr mit mir.
    Das Fräulein hatte einen Plan, und sie würde ihn verfolgen, sie würde ihn umsetzen, gegen den Willen des Onkels. Während des Mittagessens wurde kaum gesprochen, mürrisch trank er seinen Trollinger, verärgert über die Stark, es ging wieder los, ein neuer Krieg begann.
    Um sieben nach drei rauschte die Spülung. Ein Hilfsbibliothekar stakste auf mich zu, leise: Weißt du es schon?
    Ja. Die Stark will einen Kiosk, und Katz ist dagegen.
    Sie wird ihren Kiosk bekommen, sagte der Hilfsbibliothekar.
    Das glaubte ich auch. Für die Appenzellerin war der Kiosk ein Stück Heimat, auf jedem Gipfel gab es einen, und wie, bittesehr, hätte ohne Kiosk die Badeanstalt rentiert; Eben, sagte sie, da haben wirs, wo der Mensch sich wohl fühlt, Monsignore, da will er Ansichtskarten schreiben, schwarze Wässerchen trinken und Nußgipfel essen.
    Es war ein Abend im letzten September. Der Onkel trug bereits seine Wintersoutane, und die Stark stand mit ihren Brotpantoffeln in der Tür, während ich, wie immer auf meinem Platz sitzend, zwei Stühle vom Onkel entfernt, zwar noch vorhanden war, aber ohne Wirklichkeit, ohne Bedeutung, ich spielte keine Rolle mehr, tempi passati.
    Sie dürfen nicht vergessen, sagte jetzt das Fräulein, wir könnten auch Ihre Broschüren verkaufen.
    Der Onkel legte seine Hände auf den Tisch, links und rechts vom Suppenteller, drückte sich gegen die Rückenlehne seines thronartigen Sessels und sagte, den Blick zur Decke richtend: Fräulein Stark, ich erinnere mich nicht, die Klingel gedrückt zu haben.
    Sie nickte. Den Kiosk, hab ich mir gedacht, stellen wir rechts vom Eingang in die Fensternische.
    Liebe, wer ist der Chef?
    Sie, antwortete das Fräulein schlau, haben die Bücher unter sich, und ich werde dafür sorgen, daß wir mit dem Kiosk eine schöne Stange Geld verdienen.
    Fräulein Stark, setzte er wieder an, wir sind eine Bibliothek. Wir haben die vornehmsten Schätze des Morgen-und Abendlandes an Bord, von Aristoteles bis Zyste, und ich erlaube es nicht, weder Ihnen noch sonst jemandem, daß der hehre Geist durch schnöden Mammon beleidigt wird!
    Doch, sagte sie.
    Nein, sagte er.
    Unter der hohen Decke funkelten die Kristallprismen des Kronleuchters, die Fenster waren dunkel geworden, die Vorgänger des Onkels in der glänzenden Firnis verschwunden.
    Monsignore, hob sie wieder an, der Bub war nicht billig, er hat uns zusätzlich Geld gekostet, einen ganzen Sommer lang, und überhaupt: Was haben Sie gegen den Kiosk; Auch Ihr Vater hatte einen.
    Ich warne Sie.
    Es ist die Wahrheit.
    Silentium!
    Ohne den Kiosk hätte ich die Badeanstalt nicht durch den Krieg gebracht.
    Der Onkel stöhnte auf, aber die Stark kannte keine Gnade. Was ist denn dabei, erklärte
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