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Bilder bluten nicht

Bilder bluten nicht

Titel: Bilder bluten nicht
Autoren: Léo Malet
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1
     
    Melancholie
     
    Die Frau, die nicht weit vom Eingang zur Métro flanierte, bewies noch Spuren einer guten Kinderstube.
    „Guten Abend, Monsieur“, sagte sie, als ich mit ihr auf einer Höhe war.
    Ich antwortete: „Guten Abend, Madame“, und ging weiter. Sie war nicht die Gesuchte.
    Ich bog in die Rue des Lavandières-Sainte-Opportune ein.
    Ein plötzlicher Windstoß trieb mir den Regen ins Gesicht. Er schien vom Palais de Justice zu kommen, dessen geduckt massige Umrisse sich mit seinen wie Ohren aufgerichteten Türmen verschwommen auf der anderen Flußseite abzeichneten. Just konnte ich noch meinen Hut packen, und ich sagte mir, daß ich genausogut nach Hause gehen und mich aufs Ohr legen könne.
    Für eine Januarnacht war es sehr mild, aber dennoch war es Januar. Derartige Windstöße waren jetzt unangenehmer als mitten im Sommer.
    Und ich konnte mir noch so oft einreden, daß ich mehr oder weniger im Dienst war, es fiel mir schwer, mich davon zu überzeugen. Auf Vater Louis Lheureux - ein hübscher Name -brauchte ich nur zu warten, er mußte in sein Hotel in der Rue de Valois zurückkehren, dann konnte ich ihn abfangen.
    Sicher, um ihn zur Vernunft zu bringen, war es besser, ihn zwischen zwei Schnäpsen abzupassen. Aber es mußte nicht sein. Unnötig der Versuch, bei diesem Wetter seiner galanten Liebesroute zu folgen oder die Bistros, in denen er zu Abend aß, zu durchkämmen. Nur...ich lief gerne noch ein wenig durch die Straßen, durch die warmen, nun ja, für Januar jedenfalls nicht zu kalten Straßen.
    Ich kaute auf dem Mundstück meiner Pfeife und senkte den Kopf. Geduckt wie ein Schnelläufer hastete ich in die Rue Jean-Lantier, die vor dem kalten Wind geschützt war.
     
    Vor einigen Monaten hatte sich eine Blondine namens Gaby dort zwischen zwei Hoteleingängen die Schuhe durchgelaufen. Vielleicht stand sie immer noch da.
    Es war nicht ganz so dunkel wie in der Mitte eines Tunnels. Im Schatten gingen zwei weitere Schatten auf und ab.
    Die erste, die sich auf mich stürzte, als wäre ich Aga Khan persönlich, schien mir nicht blond zu sein. Oder aber sie war unaufdringlicher und nicht so herausfordernd platinblond wie meine Blondine.
    „Gaby nicht da?“ fragte ich.
    „Ich bin Gaby“, sagte das Mädchen mit müder Stimme.
    „Die blonde Gaby“, präzisierte ich.
    „Seit sechs Monaten nicht mehr, Schätzchen. Ich habe meine Haarfarbe gewechselt…“
    „Kann ich mal dein Gesicht sehen? Ich muß mit der blonden Gaby sprechen. Da will ich sichergeh’n.“
    „Aber wenn ich dir doch sage, daß ich die Gaby bin...“
    Sie war es wirklich. Ich überzeugte mich davon in dem Flur des schäbigen Hotels, in dem gelblich blassen Schein einer schwachen, verdreckten Glühbirne. Ein ziemlich hübsches, aber ebenfalls blasses Gesicht, kränklich, weder jung noch alt.
    „Zufrieden?“ fragte sie. „Bin ich’s?“
    „Ja.“
    „Und nun...?“
    „Nur ein Tip. Hier, tausend Francs für den Zeitverlust.“
    Ohne Zögern, ohne Kommentar nahm sie den Schein und schob ihn in ihren Strumpf. Die Beine, die dabei sichtbar wurden, zeigten die ersten Krampfadern, was nicht erstaunlich war. Sie gehörte so langsam zu der Gruppe von Huren, die häufiger stehen als liegen. Sie mußte wohl gute Schuhe haben, unverwüstliche. Mir schien, als hätte ich sie schon immer an ihr gesehen, diese durchbrochenen Riemchenschuhe, die nicht zu heiß am Fuß sitzen durften. Die Lederstiefel, die fand man weiter oben. In der Rue Saint-Denis. Dazu zitterte die Gaby beinahe vor Kälte in ihrem Stoffmantel aus reiner Baumwolle. Wenn nämlich die Stiefel weiter oben standen, so standen die Pelzmäntel weiter unten, in der Rue Caumartin, wo die schnellen Schnecken Bewegung in die Hautevolee brachten. Eine ganz andere Welt.
    „Was für’n Tip?“ fragte Gaby.
    Ich schob meinen Hut zurück.
    „Erkennst du mich nicht?“
    Sie seufzte:
    „Ach, weißt du! Ich seh’ so viele.. „
    „Ich heiße Nestor.“
    „Merkwürdiger Name.“
    „So heiß ich eben. Und ich suche einen merkwürdigen Typ. Einen von deinen Kunden. Heißt Louis. Falls er dir seinen Namen gesagt hat. Möglich, denn er quatscht gerne. Ein richtiges Stinktier, aber einer, der nicht stinkig wird - ordentliches Benehmen. Ein spießiger Kerl aus der Provinz, aus Limoges. Hört man aber kaum. Redet immer von seiner Stadt, deswegen erzähl ich’s dir. Er macht seine Spritztour hierher, einmal im Jahr. Und weil er seine Gewohnheiten hat... Letztes Jahr hab’ ich ihn
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