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Bilder bluten nicht

Bilder bluten nicht

Titel: Bilder bluten nicht
Autoren: Léo Malet
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sag ich Ihnen.“
    „Die netten Stunden überlasse ich Ihnen, Florimond“, lachte ich. „Ich bin kein Egoist. Ich gehe schlafen. Amüsieren Sie sich gut.“
    „Danke für die Aufmunterung!“ knurrte der Kommissar.
    Ich stieg wieder nach oben. Es nieselte immer noch, was aber den Verkehr nicht langsamer werden ließ. Ich ging nicht schlafen. Auch ich mußte etwas nachprüfen. Ich bahnte mir einen Weg durch die Menge, die bis zur Rue Coquillière dichtgedrängt stand. Nachtschichtler, menschliches Strandgut der Gesellschaft mit schwer zu durchschauenden Beschäftigungen sowie verschiedene Ladeninhaber. Kaum Nachtschwärmer. Die Rue du Bouloi war schon weniger belebt. An jeder Seite der Straße standen dicht hintereinander die Lieferwagen der Einzelhändler aus den Vororten, die in den Hallen einkauften. Alle Automarken, alle Modelle, alle Altersklassen. Eins davon, dessen rechte Tür das Zeitliche gesegnet hatte, hatte nichts mehr von Dieben zu befürchten. In der Rue du Colonel-Driant war keine Menschenseele zu sehen, und die Rue de Valois war wie ausgestorben. Das Hochhaus der Banque de France lastete erdrückend auf der Szenerie, kein Wachposten war zu sehen. Die nassen Bürgersteige glänzten trostlos unter dem Lichtschein der Straßenlaternen, wie blinde Spiegel. Eine fade Stille, die anscheinend nichts stören durfte. Eine ewige Stille. Eine Ruhe wie... Um mich zu widerlegen, nahm drüben an der Place du Palais-Royal, am Ende der Straße vor den Geschäften des Louvre, ein Auto die Kurve zu schnell. Die Reifen jaulten auf. Dann verlor sich das Schnurren des Motors in der Nacht.
    Das Hotel von Lheureux lag nicht weit entfernt von dem Haus, in dem einst Robert Houdin, der Revolutionär der Zauberkunst, wie es auf der Gedenktafel eingraviert ist, sein Theater eingerichtet hatte. Die beiden Außenleuchten des Hotels brannten schon seit einer Ewigkeit nicht mehr, aber die hellerleuchtete Halle warf einen Lichtstreifen bis mitten auf die Fahrbahn. Ich betrat das Hotel. Der Angestellte an der Rezeption döste mit aufgestützten Ellbogen über einer Rennzeitung, die aufgeschlagen vor ihm lag. Die Glocke der Eingangstür schreckte ihn auf. Er streckte sich, erkannte mich, deutete ein verschlafenes Lächeln an und grüßte. Ich hatte ihn schon zu Anfang des Abends gesehen, als ich hier war, um mich zu vergewissern, daß Louis Lheureux wiederum in diesem bescheidenen Etablissement abgestiegen war. Außerdem kannte er mich von den Jahren davor.
    „Guten Abend, Monsieur“, sagte er und fügte hinzu: „Monsieur Lheureux ist zurückgekommen, Monsieur.“
    „Ach!
    Er war also nicht tot.
    „...Hm... es ist vielleicht nicht die richtige Zeit, um... aber, nun ja, wenn er noch nicht lange wieder zurück ist und... hm... wenn er noch nicht schlafengegangen ist, würde ich...“
    Ich verbarg mein Gestotter hinter einem Lächeln.
    „Er ist überhaupt nicht schlafengegangen. Er reist ab. Ich soll die Rechnung fertigmachen“, sagte der Junge.
    Er war so um ein paar Ecken verwandt mit den Besitzern. Die vertrauten ihm blind.
    „...Ich schau mal nach, ob er Sie sehen will“, fuhr er unbeteiligt fort.
    „Das wäre nett“, sagte ich.
    Zum Teufel mit meinem Ruf und mit dem von Lheureux!
    „...Erinnern Sie sich an meinen Namen?“
    „Nestor Burma, ja, Monsieur. Der Detektiv.“
    Ich gab ihm 500 Francs. Was sein muß, muß sein.
    „Stellen Sie sich nicht wer weiß was vor“, sagte ich.
    Er strich das Moos ein.
    „Im Hotelgewerbe stellt man sich nie etwas vor“, erwiderte er. „Das würde zuviel Zeit kosten.“
    Setzen Sie den Batzen auf ‚Irrlicht’. Der Gaul hat Chancen.“
    „Danke für den Tip.“
    Er nahm den Hörer des Haustelefons, wechselte ein paar Worte mit seinem unsichtbaren Gesprächspartner und legte wieder auf.
    „Monsieur Lheureux erwartet Sie, Monsieur“, sagte er.
    Er zeigte mir den Weg und überließ mich dann mir selbst. Ich ging durch Flure, für die noch die Verdunklungsvorschriften bei Fliegerangriffen zu gelten schienen.
    Vater Lheureux war noch genauso angezogen, wie zu dem Zeitpunkt, als er mir im Riche-Bourriche entwischt war. Ganz und gar. Mehr noch, er hatte sogar den Hut aufbehalten. Ein kleiner Koffer, der geöffnet auf dem Bett lag, deutete darauf hin, daß er tatsächlich Vorbereitungen für die Abreise traf. Auf dem Kaminsims, der sich in dem großen Wandspiegel spiegelte, stand eine angebrochene Schnapsflasche neben einem halbvollen Glas; daneben lag ein Kursbuch. Zigarrengeruch hing
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