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Fraeulein Stark

Titel: Fraeulein Stark
Autoren: Thomas Huerlimann
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vergrößernden… Elfriede?
    Als wären uralte, vor Jahrhunderten versperrte Truhen von Geisterhand geöffnet worden, liegt auf einmal etwas modrig Ersticktes in der Luft, nach schweißigen Filzen riechts, nach vergessenen Papieren, nach mehlig verstaubten Büchern. An den Fenstern kleben Lichtblasen, doch scheint in der Helle schon der Winter zu lauern, die Kälte, die Erstarrung. Die Saaldiener Statuen. Die Bilder dunkel. Die Schatten schwach, der Bodenglanz erloschen, der Himmel tot. Elfriede, fragt noch einmal der Besserwisser, nach allen Himmelsrichtungen sich drehend, Elfriede!, unter die Vitrinen schauend, hinter die Säulen, Elfriede! Elfriede!, aber er fragt aufgeschlagene Bibelhandschriften, abweisende Bücherrücken, schweigende Tuotilo-Tafeln, Elfriede ist verschwunden, und was nun ein leises Knarren in den hautweichen Boden drückt, ist die Abendschöne, die auch heute ihre Runden dreht, ihre Kreise zieht, ihre Figuren läuft, schwebend und segelnd.
    Die Bibliothek ist geschlossen!
    Lächelnd nähert sich die Abendschöne der Schwelle, schiebt mir die Töffelchen zu, schenkt mir ein Lächeln, dann huscht sie durch den dämmrigen Flur auf die Zirkusmützen zu, ihre Tücher strudeln durch
    die Tür, flattern lautlos davon.
    Bald müssen wir packen, sagte das Fräulein, deine Zeit ist um.
    Ihre Winterhosen verströmten einen scharfen Kampfergeruch, und da sie ihre Tigerfinken gegen braune, schnallenbesetzte Pantoffeln ausgetauscht hatte, kam es mir vor, als würden ihre Füße in Brotlaiben stecken. Packen; Vielen Dank, Fräulein Stark, sagte ich mit einem feinen Lächeln, das kann ich allein.

54
    Der Onkel faßte Mamas Telephon wie folgt zusammen: Ad eins, am ersten Donnerstag nach dem Rosenkranz-Sonntag hätte ich einzurücken, spätestens um drei Uhr nachmittags, dann würde die Pforte geschlossen. Ad zwei, Mama habe die Fahrprüfung bestanden und wolle mich mit dem Ford Taunus 17 M nach Einsiedeln chauffieren, meine Schwester und der Großvater väterlicherseits würden uns begleiten, sowie, ad drei: Mit Rücksicht auf den Großvater väterlicherseits empfehle sich eine vorzeitige Abfahrt, nach Möglichkeit schon im frühen Vormittag, weshalb es in jedem Fall von Vorteil wäre, wenn ich nicht erst am Vorabend zu Hause auftauchen würde. Er, der Onkel, möge den Fall mit mir besprechen, jedenfalls mache sie, Mama, den Vorschlag, daß ich die Bibliothek möglichst bald verlassen solle. So könnte ich zu Hause eine Zwischenstation einlegen, mich ausruhen, mich vorbereiten, um dann gemeinsam mit dem Großvater väterlicherseits und meiner Schwester in das vor’ alpine Hochtal zu fahren. Im übrigen lasse sie grüßen, vor allem das Fräulein Stark, falls mein Koffer viel Gewicht habe, könne ich ihn am Bahnhof stehenlassen, sie würde ihn später abholen.
    Vermutlich mit dem Ford, ergänzte ich verdutzt.
    Der Onkel schwieg eine Weile. Dann sagte er: Sieht beinahe so aus, alter Knabe, als würdest du übermorgen von Bord gehen.
    Unter den Ikonen flackerten die vielen kleinen Flammen, der Samowar köchelte, es roch nach Parfüm, Rasierwasser und heißem Wachs, in den Seidenkissen floß der Glanz eines hohen Himmels, wir hatten unsere Handschuhe an und genossen es, die kostbaren Seiten vorsichtig umzublättern. Die meisten Bücher und Unterlagen hatte ich zurückgegeben, so daß ich mich in diesen letzten Tagen in aller Ruhe um ein paar Luft- und Mondschiffer kümmern konnte, die die Nunu-Welt weit überstiegen. Die Bändchen waren zweihundert Jahre alt, die Texte mehr als zwei Jahrtausende, aber hier, in den Büchern, wurde das All schon seit eh und je befahren, nomina ante res, die Wörter zuerst!
    Natürlich hätte ich dem Onkel gern bewiesen, daß auch der Klosterschüler nicht gar so blöd war, wie er meinte, ich hatte in diesem Sommer einiges gelernt, nicht alles begriffen, aber vieles aufgenommen, und immer wieder, schließlich fast ein wenig wütend, machte ich an diesen letzten Abenden den Versuch, über meine Lectio mit ihm zu reden. Er ging nicht darauf ein. Er sagte nur: Jetzt interessiert er sich auch noch für die Raumfahrt?! beugte sich über die Lupe und irrte mit seinem Wüstenvater durch die Gassen.
    Seine Einladung, noch einmal in den »Porter« zu gehen, dort eine Abschiedsrunde zu kippen, lehnte ich ab. Innerlich war ich bereits unterwegs, dachte an meine Kameraden und nicht ungern an den Präfekten, von dem mir das Fräulein erzählt hatte, er sei gebürtiger Appenzeller und als
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