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Die Verschwoerung von Toledo

Die Verschwoerung von Toledo

Titel: Die Verschwoerung von Toledo
Autoren: Philipp Espen
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    1
     
     
     
    Frühsommer 1315, um Trinitatis
     
    Auf hoher See kam Sturm auf. Die Wasser hoben sich schwerfällig zu Brechern, rasten heran und fielen urplötzlich mit Getöse in sich zusammen.
    In der Nacht entstanden auf einmal gefährliche Wirbel. Sie schleuderten die »König Philipp« ohne Vorwarnung herum, das Ruder musste in Windeseile verstärkt werden. Bald darauf sah die Besatzung jedoch die Vergeblichkeit ihrer Bemühungen ein und gab das Achtersteuer auf. Haushohe Wellenkämme wälzten sich heran, warteten einen Moment wie triumphierend in der Höhe, als wollten sie ankündigen, gleich alles zu zerschlagen.
    Auch die hart gesottensten Matrosen gerieten bei diesem Anblick außer sich und klammerten sich an die Halteseile. Die Deckaufbauten gerieten immer wieder unter eiskalte Wassermassen. Die Stürme machten sich ein Vergnügen daraus, das Schiff wie einen Spielball zu behandeln. Die Küsten des spanischen Festlandes, wohin man von den Balearen aus aufgebrochen war, schienen unerreichbar weit.
    »Kehren wir um nach Mahon, denn Barcelona erreichen wir nie! Diese Fahrt ist verflucht!«
    »Halt’s Maul! Sonst wirst du gekielholt!«
    »Oder wir ersaufen alle!«
    Wenn Henri de Roslin, den es nicht in seinem Kabinenverschlag auf dem Vorratsdeck hielt, nach vorn blickte, sah er eine graue Wasserwand. Schaute er zurück, sprühende, weiße Gischt. Der Himmel war niedrig, das Meer hautnah. Alles wollte zu Wasser werden. Und die Gespräche der Mannschaft wurden immer gereizter.
    Es vergingen die Tage, die Nächte. Selbst die alten Seeleute beteten und schlugen Kreuze. Es war unmöglich, die Tage der Heiligen Dreifaltigkeit zu feiern. Wer von der Besatzung das Bedürfnis verspürte, das Glaubensgeheimnis der Dreieinigkeit Gottes zu begehen, wurde vom mitgereisten Priester vertröstet, der seekrank am Achtersteven saß.
    Die einfachen Instrumente zeigten wegen des Schlingerns und des Falls ins Bodenlose längst nichts mehr an, gar nichts. Und die Vögel flogen nur noch so niedrig, dass sie sich in der Takelage verirrten. Henri sprach mit dem Kapitän, einem gedrungenen Katalanen, der Del Bosque hieß, darüber; gemeinsam beobachteten sie eine Seeschwalbe, die sich in den Tauen verhedderte. Das Tier schlug wild mit den Flügeln, es hing an einem Bein fest und hackte es sich am Abend ab. Henri erschien der Anblick wie ein böses Omen. Bevor der Meeresvogel in die Fluten stürzen konnte, sprang Henri hinzu und fing ihn auf. Er nahm sich vor, den Vogel zu pflegen, bis die spanische Küste in Sicht käme.
    Dann, nach einer Woche Fahrt, unter Gebrauch des wieder getrockneten Magnetsteins und des noch immer mit einer dicken Salzkruste bedeckten Jakobstabs, glaubte Henri, der dem Navigator zur Hand ging, eine Küstenlinie auszumachen. Er starrte den ganzen Nachmittag hinaus in das trübe Grau, dann wusste er, dass es eine Täuschung war. Und auch der Schiffsjunge hoch oben im Ausguck schwieg.
    Vor seinen Augen, die inzwischen ob der Anstrengung tränten, lag Wasser, das jede Begrenzungslinie nun wieder überspülte mit Sturzfluten von schäumenden Wellen. Die Welt versank im feuchten Element wie ein Kontinent, den jetzt die Sintflut holte.
    Henri de Roslin grübelte darüber nach, wie unsicher das menschliche Leben war, wenn der Herrgott nicht auf ihrer Seite weilte. In Frankreich, woher Henri kam, herrschte nach dem gewaltsamen Tod des Königs das nackte Chaos. Und hier auf See drohte der endgültige Untergang. War denn nicht schon die Fahrt nach Menorca gefahrvoll genug gewesen? Hatten die Menschen etwas verbrochen, das dieses Unheil rechtfertigte? War er selbst, der Königsmörder Henri de Roslin, daran schuld? Henri spürte seine Zweifel und ein Schuldgefühl vor Gott, aber er wollte nicht beichten. Und der Priester, dem er nicht vertraute, murmelte nur ergeben das Motto von Trinitatis herunter: »Christus ist das Mensch gewordene Wort Gottes, aber wir beten zum Vater, durch Christus, im Heiligen Geist. Amen!«
    Henris Grübeln nahm schnell ein Ende. Die banale Gegenwart nahm alle Sinne in Beschlag. Er musste sich krampfhaft an den Seilen festhalten. Er konnte nicht abschätzen, ob die Karavelle ausreichend seetüchtig war, um weitere Stürme auf offener See zu überstehen. Im Mahlwerk eines solchen Sturms schien sie verloren.
    Die Seemänner an Bord waren gewiefte Handwerker und instrumentenkundige Navigatoren, auf allen bekannten Gewässern zu Hause. Aber konnten sie navigieren, wenn die Koordinaten in einem
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