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Die Verschwoerung von Toledo

Die Verschwoerung von Toledo

Titel: Die Verschwoerung von Toledo
Autoren: Philipp Espen
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berichteten.
    Der Schiffsbug schnitt eine scharfe Kontur in die milchige Luft. In den Wanten seufzte der Wind, von Land her flogen plötzlich drei Bartgeier heran und ließen sich auf dem Ausguck nieder. Sie starrten mit ausdruckslosen Augen auf die Männer herab. Zwei Matrosen hielten den Anblick nicht aus, sie liefen nach Achtern, schleppten eine plumpe Armbrust heran und feuerten. Als der Pfeil knapp an den Geiern vorbeizog, torkelten ein paar schwarzweiße Federn auf Deck, und die Geier waren fort.
    Die Matrosen am Vorschiff legten ihre Hände über die Augen, um genauer zu sehen. Als sie der Küste näher kamen, sahen sie, dass sie flach wurde. Nach Süden hin schimmerte blendend weißer Sand in der Sonnenglut. Es gab kein Kap, keine Felsen, keine Riffe, nur gleichförmigen Sand, den der Wind zu Kaskaden aufwirbelte und über den Strand verteilte.
    Die Männer suchten den Blick ihres Kapitäns. Wo waren sie? War das Spanien oder ein verräterisches Trugbild? Was zeigten die Instrumente an? Keine Stadt und kein Hafen in Sicht. War man in eines der feindlichen maurischen Länder an der afrikanischen Küste abgedriftet, die man in der schon viel zu lange währenden Reconquista bekämpfte?
    Die Karavelle blieb auf Kurs. Mit aller Vorsicht näherte sich das Schiff der Küste.
    Der feine Wüstenstaub, der vom Ufer herangetrieben wurde, legte sich unangenehm auf die schwitzenden Körper. Die Männer husteten und fluchten. Del Bosque gab Befehl, sich Halstücher vor Mund und Nase zu binden. Die Glut von der Küste her schlug ihnen entgegen, als würde urplötzlich die Tür eines Brennofens geöffnet. Wie ein Fieber hauchte etwas zu ihnen herüber. Und der Sommer hatte gerade erst begonnen!
    Der Steuermann suchte eine Bucht. In einhundert Metern Abstand zum Ufer ließ er Anker werfen. Man bestimmte ein halbes Dutzend Männer, die sich bewaffneten. In einer schlanken Pinasse wurde der kleine Fußtrupp, der die Umgebung erkunden sollte, von den Matrosen, die als Wächter an Land bleiben sollten, hinübergerudert.
    Am Morgen des zwölften Tages auf See setzten die Männer ihre Stiefel auf Sand, der sich nach drei Seiten bis zum Horizont erstreckte. Es war so weiß, dass sie die Augen schließen mussten.
     
     
    »Wir wollten dem Unheil in unserem Heimatland entkommen. Aber hier ist es nur noch schlimmer!«
    Der Matrose blickte Henri so treuherzig an, dass dieser ihm begütigend die Hand auf die Schulter legte. »Aber hier«, sagte er, »regieren keine falschen und untreuen Vorgesetzten, die uns verraten, sondern nur die Natur. Nattern, Sand und Hitze können wir bezwingen.«
    Man hatte einen Tag und eine Nacht lang gewartet, die ausgesandten Matrosen kamen nicht zurück. Irgendetwas musste geschehen sein. Also beschloss der Kapitän, nach ihnen zu suchen. Henri schloss sich dem Trupp an, wollte aber, ob man sie nun gefunden hatte oder nicht, sollte sich der Landstrich als iberisches Festland herausstellen, allein weiterreiten.
    Sechs Pferde wurden an Deck geführt, darunter Henris Hengst Barq. Die an die Dunkelheit gewöhnten Pferde bekamen Scheuklappen, spürten indes die Hitze und Fremdheit vor dieser Küste, scheuten und schnaubten. Die Deckwachen wurden neu eingeteilt, Wasser und Proviant verstaut, die Männer am Ufer zurückgerufen. Und wenig später ruderte eine andere, größere Pinasse mit neuen Leuten den Trupp und die mit Decken gesattelten Tiere an Land.
    Dem Navigator war es inzwischen gelungen, eine Position von vierzig Breitengraden zu errechnen. Aber er fügte hinzu: »Wenn das stimmt, ist dies die iberische Küste. Vielleicht aber irre ich, und das ist die große Wüste Sahara, über der in diesem Monat die gleiche Mondsichel steht.«
    »Aber sagen dir das nicht die Sterne?«
    »Ich bin kein Maure, Mann! Wir Iberer dürfen uns nicht wie die Heiden orientieren, es ist verboten. Denn alles liegt nur in Gottes Hand!«
    Der Trupp setzte sich langsam in Bewegung. Bis zum Einbruch der Nacht folgten sie den nicht verwehten Spuren im Sand. Keine Ansiedlung, kein menschliches Lebenszeichen tauchten vor ihren Blicken auf. Am nächtlichen Lagerfeuer, unter einem tiefschwarzen Sternenhimmel, patrouillierten Wachen im Abstand von drei Stunden. Henri teilte sich selbst als letzte Wache ein, für die Zeit kurz vor dem Morgengrauen, wenn die Augenlider am schwersten waren.
    Alle schliefen unruhig, denn aus der Dunkelheit, aus den nur scheinbar friedlich hingestreckten Wellen dieser befremdlichen weißen Landschaft, aus der
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