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Die Verschwoerung von Toledo

Die Verschwoerung von Toledo

Titel: Die Verschwoerung von Toledo
Autoren: Philipp Espen
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hatte, und versuchte, sich zu orientieren. Er hielt den Astrolab aus Holz und Messing, den ihm ein Maure aus Isfahan geschenkt hatte, an sein rechtes Auge.
    »Was kannst du damit sehen?«, fragte ihn Henri.
    »Ich habe eine drehbare Sternenkarte und darüber eine Scheibe mit Horizont, Höhenlinien und Himmelsrichtungen. Mit den gemessenen Gestirnshöhen kann ich die Zeit und den Ort bestimmen. Es ist ein Modell der Welt.«
    »Und wo befinden wir uns, Navigator?«
    »Im Nichts! Ich weiß es nicht besser auszudrücken.«
    Er wendete sich ab und benutzte ein Viertelkreisinstrument, um die Höhe der Sterne über dem Horizont zu bestimmen. Während er seine Beobachtungen mit einem horologischen Rechenschieber verglich und in ein schon beschriebenes Äquatorium aus Pergament mit roter Tinte notierte, bangten die Zuschauer. Der Navigator murmelte: »Ich muss die Winkel bestimmen, die der Mond mit den Fixsternen bildet. Dann habe ich unsere Länge.«
    »Wir müssen nach Westen, Mann! An die spanische Küste!«
    Der Navigator versuchte es wieder und wieder. Dann seufzte er bekümmert und überließ das Schiff seinem Schicksal. »Es ist nicht Gottes Wille«, sagte er, »dass wir wissen, wo wir sind.«
    Der Steuermann fluchte und stapfte nach Achtern zum Tiefenruder. Aber an eine kontrollierte Fahrt war im Augenblick nicht zu denken, denn die unbarmherzige Faust des Sturmes schob das Schiff widerstandslos hin und her, aber immer weiter hinaus auf die stockdunkle, schäumende See.
    Schon längst hatten die beiden Schiffsjungen es aufgegeben, das Stundenglas der Sanduhr umzudrehen, denn es regierte ein anderes, gnadenloseres Uhrwerk als das von fallenden Sandkörnern, die sich zu einem unbarmherzigen Haufen aufschichteten.
    Als die nächste Nacht hereinbrach und lange, zu lange, anhielt, taten die Seeleute das, was sie in ähnlichen Situationen immer taten. Sie waren damit beschäftigt, sich mit ihren wenigen verbliebenen Habseligkeiten zu umgeben. Auf kindische Weise bemühten sie sich, es sich erträglich zu machen. Ein Matrose balgte sich ausdauernd mit seinem Hund, ein anderer zählte seine vergoldeten Solidis und kupfernen Maravedis, ein dritter klammerte sich an seinen Talisman. Der Schiffsjunge betrachtete lange seine großen Hände. Der Gehilfe des Kochs legte die schönsten seiner Muscheln im Kreis um sich und veränderte von Zeit zu Zeit ihre Lage. Auf diesem Ozean war es in dieser Nacht so erschreckend, dass jeder sich bemühte, in seine eigenen kleinen Banalitäten abzutauchen. Jeder zog sich seinen persönlichen Kreis, um mit hilfloser Magie in der sichtbaren Welt zu bleiben.
    Der Priester betete seit Stunden. Und er musste Fragen beantworten.
    »Wenn wir jetzt Trinitatis feiern, sind die drei göttlichen Personen doch gleich gestellt. Bleibt diese Gleichheit auch danach noch bestehen?«
    »Ja, mein Sohn. Trinitatis ist nur der Höhepunkt dieser Sichtweise. Wir glauben an die Dreieinigkeit Gottvaters. Wir beten gleichermaßen an Gott, Christus und den Heiligen Geist.«
    »Zu jeder Zeit?«
    »Jetzt und immerdar.«
    »Amen.«
    Henri beobachtete die gefährliche Stille an Bord mit Sorge. Der Beamte des Königshauses aus Segovia, der zu einem Prozess gegen Häretiker aus Frankreich zurückgerufen wurde, saß zusammengekauert unter dem Segeldach des Kapitäns. Ein junger Matrose aus Mahon schabte ungelenk mit Kohle seinen Namen auf einen Schal und wand ihn sich um den Hals. Einige Männer, die Empfindlichsten, waren unter Deck verschwunden und blieben dort.
    Dann flaute der Sturm plötzlich ab. Henri besprach sich mit dem katalanischen Kapitän, und gemeinsam gingen sie auf dem Deck herum und sprachen den Matrosen Mut zu.
    Aber am Ende der Nacht, noch war alles schwarz, zeigte die See wieder eine beunruhigende Seite. Ringsherum starrten plötzlich phosphoreszierende, grüne Augen aus dem Wasser auf das Schiff. Es leuchtete und blinkte. Ständig bewegte sich etwas im Wasser, stumpf oder leuchtend, tauchte empor, schmatzte und verschwand, Köpfe erhoben sich und zogen sich wieder zurück. Die Vorstellung, welche Ungeheuer direkt unter dem dünnen Plankenboden des Schiffes herumschwammen, sich vielleicht in ebendiesem Moment daran festsaugten, um es zu vernichten, ließ manchem hart gesottenen Seemann Schnee über den Nacken rieseln.
    Danach starrten die Männer wieder hinaus, wo sich schwarzes Wasser mit tintenschwarzem Himmel verschwisterte. Es war tief in der Nacht, und das Schiff lief völlig ohne Kontakt zur bekannten
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