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FOOD CRASH

FOOD CRASH

Titel: FOOD CRASH
Autoren: Felix zu Löwenstein
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Pflanzenschutzmittel-Vertretern gehört habe. Es gibt aber noch eine andere:
    In diesen schrecklichen Jahren hatten die englischen Grundherren, die den Iren zu Recht als Besatzer aus einem fremden Land galten, und wohl ebenso die eigenen, irischen Großgrundbesitzer den größten Teil der fruchtbaren Böden unter sich aufgeteilt. Und wo diese nicht Schafe züchteten, um vom Boom der angelsächsischen Textilindustrie zu profitieren, da produzierten sie Weizen und anderes Getreide, das in irischen Häfen auf englische Schiffe verladen und von dort in englische Mühlen gebracht wurde. Auch ihre Pächter mussten Weizen für den Export produzieren, denn nur so ließ sich das Bargeld erwirtschaften, mit dem die Pacht zu bezahlen war.
    Für ihre eigene Nahrungsversorgung blieben den irischen Bauern und Landarbeitern nur kleine Flächen, die schlechtesten zudem. Da man mit kaum einer Kulturpflanze so viel Nahrungsenergie je Flächeneinheit erzeugen kann wie mit der Kartoffel, bebauten sie ihre kleinen Parzellen dicht an dicht damit. Und da sie obendrein nicht wussten, dass eine jahraus, jahrein wiederholte Monokultur von Kartoffeln sehr schnell zum Ausbruch von Krankheiten führt, wie eben der »potato blight«, kam, was kommen musste. Ihre Nahrungsgrundlage brach zusammen. Tausende verhungerten und Abertausende verließen das Land. [8]
    Dass für die große, irische Hungersnot die Krautfäule verantwortlich ist, erweist sich in Kenntnis dieser Zusammenhänge als eine nützliche Legende. Denn die mörderische Kartoffelkrankheit war nicht Grund, sondern Folge – Folge menschlicher Gewalt, die dann die Bewohner der Grünen Insel in Hungertod und Auswanderung trieb. Und so war es mit vielen Hungersnöten. Auch in unserer mitteleuropäischen Geschichte wurden sie viel seltener durch Missernten oder gar das Nichtwissen der Bauern ausgelöst als vielmehr durch Kriege, Revolutionen und Unterdrückung. Und so ist es auch in unseren Tagen. Die schrecklichen Hungerbilder aus dem Südsudan oder aus Eritrea sind Beispiele dafür. Oft wird das Aushungern der Bevölkerung sogar gezielt als Kriegswaffe eingesetzt.
    Die schlimmsten Hungersnöte des letzten Jahrhunderts wurden durch Gewaltherrscher mit ihren menschenverachtenden Systemen verursacht. So war es in den von Hitlerdeutschland besetzten Gebieten. Und so war es im Russland Stalins, im China Mao Zedongs oder im Kambodscha von Pol Pot, wo erst der Bauernstand ausgetilgt und dann Staats- und Gesellschaftstheorien auf bizarre Art auf die Landwirtschaft angewandt wurden. In der Folge verhungerten Millionen Menschen.
    Das extremste Beispiel dafür, dass auch heute skrupellose Machtausübung mehr Menschen ihre Nahrungsgrundlage raubt als Heuschrecken und sonstige Plagen der Natur, ist die Republik Kongo. Ich bin Anfang der 90er Jahre in diesem riesigen Land gewesen, um im Auftrag von Misereor ein Entwicklungshilfeprojekt zu begutachten. Von allen Ländern der Dritten Welt, die ich bis dahin gesehen hatte, war Zaire – so hieß der Kongo damals noch – das heruntergekommenste und korrupteste. Obwohl enorme Landflächen ungenutzt waren und reichlich Wasser zur Verfügung stand, lebte die Bevölkerung in großem Elend. Zu meinem großen Erstaunen konnte man stundenlang fahren, ohne jemanden zu sehen, der einem etwas zu essen hätte verkaufen wollen. Den Grund habe ich erst begriffen, als ein Bauer mir erzählte, sein Nachbar sei kürzlich beim Beernten einer Kokospalme abgestürzt und habe sich ein Bein gebrochen. Darauf habe er dem Dorfgewaltigen ein Strafgeld entrichten müssen. Der hatte das damit begründet, dass es verboten sei, vom Baum zu fallen. Da die Geschichte durch zwei Übersetzer musste – von der Dorfsprache in die Bantusprache Kikongo, von dort ins Französische –, glaubte ich, falsch verstanden zu haben. Nach intensivem Nachfragen war aber klar: Ich hatte gerade ein besonders absurdes Beispiel von Machtmissbrauch und Korruption erzählt bekommen. Der örtliche Polizeikommandant hatte sich einfach etwas Kreatives einfallen lassen, um noch ein wenig mehr Geld aus den Bewohnern des Dorfes herauszupressen. Das ließ erahnen, weshalb es in diesem Land nur für die Stärksten möglich ist, sich wirtschaftlich zu entwickeln.
    Inzwischen ist im Osten des Landes jener fürchterliche Krieg entstanden, in den auch Ruanda verwickelt ist. Rebellenmilizen und die Interessen derer, die den für den Betrieb unserer Mobiltelefone erforderlichen Rohstoff Coltan unbehelligt von
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