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FOOD CRASH

FOOD CRASH

Titel: FOOD CRASH
Autoren: Felix zu Löwenstein
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Überschwemmungen, Wirbelstürme und Tsunamis – ebenfalls diejenigen am härtesten treffen, die ohnehin kaum über Reserven verfügen. So werden solche Ereignisse zeitlich und räumlich punktuell zur Hauptursache von Hunger.
    Schließlich ist auch die Verwundbarkeit durch volkswirtschaftliche Faktoren dort am größten, wo Menschen wegen zu geringer Kaufkraft zu wenig zu essen haben. In Deutschland wenden wir gerade einmal 11,2 % unseres Einkommens für die Ernährung auf, die Einwohner in Burundi oder Bangladesch wohl eher drei Viertel. Es ist unschwer vorzustellen, dass Letztere von dem dramatischen Anstieg der Lebensmittelpreise, wie in 2007 und 2008 und auch wieder in 2011, erheblich stärker betroffen sind als wir.

    »Wir ernten, was andere säen« war der Titel einer Werbebroschüre, die mir die Allianz auf dem Höhepunkt der Hungerkrise zugeschickt hat. Dort wurde für Fonds geworben, die in landwirtschaftliche Rohstoffe investiert sind. Ich erinnere mich nicht, was mich damals mehr schockiert hat: die Kaltblütigkeit, mit der hier der Vorschlag unterbreitet wird, aus etwas Profit zu schlagen, an dessen Entstehen man gar nicht beteiligt ist. Oder die Taktlosigkeit des Werbetexters, dafür so entlarvend deutliche Worte zu finden. Mir ist wohl bewusst, dass Börsenspekulanten nur sehr begrenzte Möglichkeiten haben, hohe oder niedrige Rohstoffpreise zu erzeugen. Da ist die Wirkung schon entscheidender, die beispielsweise von der Exportsperre ausgeht, die große Getreideerzeuger wie die Ukraine verfügen, um ihre Vorräte für alle Fälle zurückzuhalten. Sicher ist jedoch, dass Preisausschläge wesentlich durch Rohstoffbörsen verstärkt werden, die ein Vielfaches des Volumens in Kontrakten handeln, das tatsächlich als Ware auf dem Markt vorhanden ist. Auf diese Weise mag man Geld vermehren. Essen vermehrt man nicht. Dafür trägt man aber zum Verhungern derjenigen bei, deren Geld nicht reicht, um die Zeit zu überbrücken, bis die Blase platzt.

Wenn meine Ernte längst ein anderer hat
    Bangladesch ist eines jener Länder, die in unseren Nachrichten nur dann auftauchen, wenn es eine Katastrophe zu vermelden gibt. Und immer, ganz gleich, ob es sich um eine Flutwelle, eine Monsun-Überschwemmung, ein Erdbeben oder eine Dürre handelt, produziert eine solche Katastrophe die gleichen Bilder. Hungernde Menschen, verzweifelt oder apathisch, die übers Land wandern, in der Hoffnung, irgendwo Hilfe und Essbares aufzutreiben. Ein solches Jahr war das Hungerjahr 1974. Auch in Chittagong füllten sich die Straßen mit frisch zugewanderten, ausgemergelten Bettlern aus dem Umland.
    Professor Mohammed Yunus, Dozent für Wirtschaftswissenschaften an der Universität dieser zweitgrößten Stadt des Landes, war einer von jenen Angehörigen der wirtschaftlichen und politischen Elite, die es in allen Ländern der Dritten Welt gibt: Sie leben unter ihresgleichen, gebildet und finanziell abgesichert, so weit weg von der Realität der armen Menschen im Land, als sei es ein anderer Kontinent. Doch an dem Elend, das in diesem Jahr bis vor die Tore der Universität drängte, war kein Vorbeisehen mehr. Yunus beschloss, mit seinen Studenten eines der nahe gelegenen Dörfer zu besuchen, aus dem diese Menschen stammten, um die Ursachen des Elendsmarsches wissenschaftlich zu fassen.
    Dort trafen sie auf Sufia Begum, die vor ihrer Hütte saß und Körbe flocht. Die Realität, die hinter dem idyllischen Bild steckte, war folgende: Um das Material für die Körbe zu kaufen, hatte die Frau einen Kredit bei einem Wucherer aufgenommen. Dieser verlangte astronomische Zinsen und nahm ihr zur Tilgung die Körbe in Zahlung. Was ihr verblieb, waren zwei Cent pro Tag – zu wenig, um davon die Familie zu ernähren. Vor allem aber zu wenig, um Kapital zu bilden. In diesem Kreislauf des Elends, so fanden Yunus und seine Studenten heraus, drehte sich nicht nur das ganze Dorf, sondern das ganze Land. Ohne über das fürs Überleben Notwendige hinaus etwas akkumulieren zu können, was die Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung gewesen wäre, und ohne die Möglichkeit, Reserven zu bilden, warf jede Missernte die ökonomische Existenz der Menschen über den Haufen.
    Yunus beschloss – weiterhin ganz Pädagoge und Wissenschaftler –, mit Sufia ein Projekt zu starten. Er lieh ihr 25 Dollar. Eine Summe, von der er herausgefunden hatte, dass sie ausreichendes Startkapital für die Gründung eines eigenständigen Gewerbes war. Als auch weitere
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