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FOOD CRASH

FOOD CRASH

Titel: FOOD CRASH
Autoren: Felix zu Löwenstein
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wenigen Blicken: verkarstete, kahle Berge, an den Mündungen der Flüsse weit ins Meer hinauswuchernde, Atompilzen nicht unähnliche braune Fahnen. Es hat gerade einmal vier bis sechs Generationen gebraucht, um aus einem fruchtbaren, waldbedeckten Eiland ein buchstäblich verwüstetes karges Land zu machen, das zum Armenhaus der Welt geworden ist. Nicht die starke Bevölkerungsdichte ist die wesentliche Ursache – auch Bali ist ähnlich dicht besiedelt. Viel hängt an der fehlenden Staatlichkeit einer Gesellschaft, die längst hätte eingreifen müssen. Auch die miserable Eigentumsverfassung trägt Schuld an der Misere: Wer keinen sicheren Rechtstitel auf ein Stück Land hat, der wird auf keinen Fall in Terrassen, Erosionsschutzwälle oder -hecken investieren. Denn dadurch macht er das Land wertvoller. Das wiederum ruft die Begehrlichkeit derer auf den Plan, die über mehr Macht und wenig Skrupel verfügen. Und dann ist nicht nur die Investition umsonst gewesen, sondern auch das Land weg. Das wissen die Menschen aus bitterer Erfahrung.
    Und dann ist da das Weltbild, das Regenbögen für Tiere und Steine für wachstumsfähig hält. Es ist zwar schwer vorstellbar, aber es ist so: Den Bauern ist die Bedeutung der Erosion für den Verlust der Bodenfruchtbarkeit nicht bewusst. Oder jedenfalls nicht bewusst (und wichtig) genug, um trotz der obengenannten Schwierigkeiten etwas dagegen zu unternehmen.
    Sollten Ihnen auf meine Schilderung hin diese Bauern jetzt dumm, träge und ungebildet vorkommen, dann bitte ich Sie, einen kurzen Denkstopp einzulegen. Wir müssen uns nicht zu viel auf unsere aufgeklärte Intellektualität einbilden. Denn schließlich haben wir verstanden, was uns die Klimaforscher über den Zusammenhang zwischen der Erderwärmung mit ihren Folgen und unserem Energieverbrauch vorrechnen. Aber wir intelligenten, agilen und gebildeten Europäer bringen es auch nicht ansatzweise zustande, diese Erkenntnis in Handeln umzusetzen.
    Viele Menschen glauben inbrünstig daran, der Mensch werde schon etwas erfinden, wenn die Not groß genug sei. Das sei ihm schon immer gelungen, und das werde auch künftig für die Lösung unserer Probleme sorgen, ehe es zu spät ist. In Haiti kann man besichtigen, dass das eine Illusion ist. Dort ist der »point of no return« längst erreicht: Das Problem hat ein Ausmaß erreicht, das keiner Lösung mehr zugänglich ist. Der Boden, der im Meer ist, liegt dort und kehrt nicht zurück. Er vernichtet so ganz nebenbei im Bereich der Mündungen mehr und mehr die Fauna des Meeresbodens und damit die Reproduktionskraft ganzer Fischbestände. Und damit die Möglichkeit der Fischer, sich und ihre Mitmenschen durch Fischfang zu ernähren …
    »Man braucht sich nicht wundern, wenn die Haitianer das Meer nehmen, wenn der Boden das Meer nimmt«, ist eine Formulierung, die nur die Bewohner der Insel verstehen können. »Prann lamè« kann nämlich zweierlei heißen: »als Boat-People versuchen, die USA zu erreichen« und auch: »ins Meer geschwemmt werden«. Ich hatte diesen Satz auf dem Weg zu einer Veranstaltung im Institut Français mitgenommen, ein alter Missionar hatte ihn mir gesagt. Ich sollte dort einen Vortrag halten, in dem ich die Abholzung im Oberlauf des Bewässerungssystems der Ebene von Les Cayes öffentlich machen wollte, im letzten Bergregenwald der Insel rund um den 3000 m hohen Pic Macaya. Das war sehr viel heikler als der Inhalt meines Vortrags, in dem es um einfache Zusammenhänge wie den Wasserkreislauf, die Erosion, die Gründe für das Versiegen von Quellen und die sich häufenden Überschwemmungen ging. Der Auftraggeber der Abholzung war nämlich der Schwiegervater des Präsidenten.
    Als deshalb nach dem Satz mit der doppelten Bedeutung erst ein sekundenlanges atemloses Schweigen und dann ohrenbetäubender Applaus folgten, war das ein nahezu revolutionärer Vorgang. Für mich als Redner war es ein magischer Moment, den ich nie vergessen werde. Doch leider ging es um sehr viel mehr als die Wirkung meiner Redekunst. Es ging um die Zukunft des haitianischen Volkes. Das zu behaupten ist nicht pathetisch, sondern realistisch.
    Denn die Abfolge von falscher landwirtschaftlicher Nutzung, Erosion und Exodus hat sich im Lauf der Menschheitsgeschichte oft und oft wiederholt. Der amerikanische Geologe David R. Montgomery hat das in einem Buch beschrieben, das überaus hilfreich ist, wenn man die Entwicklung verstehen will, die unser von Menschenhand gestalteter Planet nimmt. Es
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