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FOOD CRASH

FOOD CRASH

Titel: FOOD CRASH
Autoren: Felix zu Löwenstein
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Kreditnehmer genug Erfolg hatten, um den Kredit tilgen und ihre Aktivitäten entwickeln zu können, sprach er die großen Banken seines Landes an, um mit ihnen ein Kreditprogramm für die Armen Bangladeschs auf die Beine zu stellen. Die Antwort waren Spott und Ablehnung. Welch absurde Idee, Menschen Geld leihen zu wollen, die keinerlei Sicherheiten zu bieten hatten! Mit einer staatlichen Bank fand sich dann doch noch ein Partner: die Grameen-Bank wurde gegründet. Dreißig Jahre später sind acht Millionen Bangladeschis Mitglieder der Grameen-Bank, halten Guthaben und nehmen Kredite. Sie haben sich damit eine Möglichkeit für wirtschaftliche Entwicklung erschlossen. Fast alle von ihnen sind Frauen – schon früh stellte sich heraus, dass sie besser und nachhaltiger mit den Finanzen umgehen als die Männer –, und alle gehören zu den dörflichen Unterschichten des 150-Millionen-Volkes am Golf von Bengalen. Mittlerweile hat sich die Grameen-Bank auf allen Kontinenten etabliert und auch viele Nachahmer gefunden.
    Yunus hat für das Konzept der Mikrokreditbanken und für seine Umsetzung sehr zu Recht den Friedensnobelpreis bekommen. Und doch hat er im tropischen Bangladesch nur neu aufgelegt, was 130 Jahre vor ihm schon einmal in der kühlen Eifel unternommen worden war. Friedrich Wilhelm Raiffeisen hatte dort die ersten
Kreditkassen auf Gegenseitigkeit
aus genau dem gleichen Grund errichtet. Auch er wollte nicht mehr mit ansehen, wie die Wucherer die Not der Bauern ausnutzten, indem sie ihnen die Ernte zu Konditionen vorfinanzierten, die einer Übernahme des gesamten Ertrages gleichkam.
    Nicht nur in Bangladesch oder im Hunsrück des 19. Jahrhunderts ist die Abhängigkeit der Bauern von den Lieferanten ihrer Betriebsmittel ein wesentlicher Auslöser für Hunger und Elend. Derselbe Mechanismus findet sich überall, wo Bauernfamilien zu wenig zum Leben haben. Besonders drastisch ist das in Indien, wo ganze Gegenden von Selbstmordwellen heimgesucht werden: Bauern bringen sich um, weil ihre Lage aussichtslos geworden ist und weil sie die Schande nicht mehr ertragen, ihre Familie nicht mehr ernähren zu können. Nicht die mangelnde Produktivität ihrer Felder ist dafür die Ursache, sondern mangelnde Unabhängigkeit:
    Je abhängiger Bauern von Betriebsmitteln werden, die sie von außen zukaufen müssen – Saatgut, Düngemittel, Pestizide und Futtermittel –, desto größer wird die Angriffsfläche für die Kredithaie, die schon am Feldrand in ihren Lastwagen laden, was der Bauer eben erst geerntet hat.

Vom Winde verweht
und vom Wasser abgeschwemmt
    Die Haitianer nennen einen kleinen Stein »Jèn roch«. Einen jungen Stein. Ich habe lange gebraucht, um herauszufinden, was es damit auf sich hat. Nicht dass mich der Beweis eines in unseren Augen etwas sonderbaren Naturverständnisses überrascht hätte. Spätestens seit unsere Köchin Jeanette mich herzlich und mitleidig ausgelacht hat, als ich behauptete, der Regenbogen sei kein Tier –
natürlich
ist er ein Tier, was denn sonst, um alles in der Welt! –, weiß ich, dass naturwissenschaftliche Erkenntnis nicht die einzig mögliche Quelle eines Weltbildes ist. Aber woher kommt die Erfahrung, die einen annehmen lässt, Steine würden wachsen, also klein sein, wenn sie jung sind, und dann größer werden?
    Der Grund ist die Mutter aller Katastrophen auf diesem gebeutelten Teil der Insel Hispaniola: die Erosion. Es gibt einige Ebenen dort, die sind fruchtbar und wasserreich. Vor allem aber gibt es Berge. Irgendein berühmter Mann hat behauptet, Haiti sei ein zerknülltes Blatt Papier, das der liebe Gott auf die Erde geworfen hat. Auch der Name, den die Aufständischen 1803 nach der Befreiung aus der französischen Sklaverei ihrem neuen Land gegeben hatten, sagt das Gleiche. Er stammt aus der Sprache der damals längst ausgerotteten indianischen Ureinwohner und bedeutet schlicht »bergiges Land«. Haiti ist aber nicht nur bergiger als die Schweiz, es ist auch dichter bevölkert als Belgien. Die meisten Einwohner sind Bauern, und viele wirtschaften auf Hängen, die viel zu steil für den Ackerbau sind. Ich habe erzählt bekommen, dass es Flächen gibt, auf denen die Bauern sich anseilen, wenn sie mit der Hacke den Boden bearbeiten. Die vielen heftigen tropischen Regengüsse reißen den Boden mit sich, und dann beginnen sie zu wachsen, erst klein, dann groß: die Steine des unfruchtbaren Untergrundes. Wer die Insel überfliegt, sieht das ganze Ausmaß des Elends mit
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