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Flut

Flut

Titel: Flut
Autoren: Daniel Galera
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warst du einundzwanzig, und es war genau das, was du damals wolltest. Abermit der Zeit hat sich das abgenutzt. Vielleicht, wenn ich etwas offener gewesen wäre. Wenn ich die Bücher gelesen und gemocht hätte, die du mir gegeben hast. Wenn ich mich mit der Zeit verändert hätte. Wenn ich mich für deine Welt interessiert hätte. Wenn ich jemandem etwas ähnlicher gewesen wäre, der ich nicht war. Oder stell dir vor, ich wäre Schriftsteller gewesen.
    Red keinen Unsinn. Warum musst du die Gefühle, die ich für dich hatte und die ich noch immer habe, so mit Füßen treten?
    Ich trete gar nichts mit Füßen. Ich weiß, was du für mich empfunden hast. Ich hab es gefühlt. Ich weiß, dass du mich in gewisser Hinsicht immer noch liebst. Aber ist es denn so falsch, was ich sage? War es nicht so, wie ich gesagt hab, als du mich gefragt hast, ob es mir etwas ausmachen würde?
    Du übertreibst.
    Kann sein. Aber im Grunde stimmt es.
    Es ist keine Wut, die aus ihrem Blick spricht, eher der Ausdruck eines Raubtiers in Verteidigungshaltung. Eine einzelne Träne rinnt aus ihrem linken Auge über die Wange und fällt auf den Boden.
    Aber wenn du wusstest, was passieren würde, warum hast du dann gesagt, dass es dir nichts ausmachen würde, wenn ich ginge?
    Bitte weine nicht, Viv.
    Ich weine nicht. Sag mir, warum.
    Weil ich dich in jedem Fall verloren hätte. Die Frage war nur, wie. Wenn ich dich zurückgehalten hätte, wäre ich heute der Typ, der dir das Leben versaut hat. Und das hätte ich tatsächlich.
    Ach so, vielen Dank. Wie gütig von dir. Wie selbstlos. Du hast es also vorgezogen, den Mund zu halten, und mich gehen zu lassen, damit du am Ende das Opfer spielen konntest. Das Opfer mit dem lächerlichen Zettel, auf dem steht, ich habe es gewusst.
    Ich bin kein Opfer. So etwas gibt es nicht.
    Womöglich wäre ich nie weggegangen, wenn du es nicht gewollt hättest.
    Mach dir nichts vor.
    Sie schüttelt den Kopf und schnauft.
    Du wusstest also schon über alles Bescheid. Ich jedenfalls nicht. Ich habe nichts von all dem kommen sehen. Ich habe mich in ihn verliebt. Ich hatte keine Ahnung, dass aus meinem Leben eine billige Jules-und-Jim-Kopie werden würde. Du hättest mir ja wenigstens Bescheid sagen können. Dann wäre ich besser vorbereitet gewesen. Kann ich ein Glas Wasser haben?
    Er geht ein Glas Wasser holen und kommt zurück. Sie trinkt es ganz aus und hält das Glas danach so fest umklammert, dass sich ihre Fingergelenke gelblich färben und er befürchtet, es könnte zerbrechen.
    Ich hätte es dir gleich sagen sollen, als ich reinkam. Jetzt wird es schwierig. Aber ich tue es trotzdem. Ich bin gekommen, um dich zu fragen, ob du sein Patenonkel werden willst.
    Sie blickt von ihrem Glas auf und lächelt schwach.
    Das hast du nicht vorausgesehen, nehme ich an.
    Will er das auch?
    Es war seine Idee.
    Und du findest das gut?
    Ja.
    Mir kommt es vollkommen absurd vor.
    Und wenn schon. Dieser alberne Mist muss endlich mal aufhören. All dieser Groll. Euer Vater ist gestorben, und ihr habt es noch nicht mal fertiggebracht, euch auf seiner Beerdigung zu umarmen. Deine Mutter tut so, als mache es ihr nichts aus, aber sie hat Angst davor, das Thema dir gegenüber anzusprechen. Dante hat auch Angst, er hat aber auch sehr unter der ganzen Sache gelitten, und du fehlst ihm. Alle leiden wie Sau, und total unnötigerweise. Das muss nicht so sein. Aber ich hab keine Angst davor, dir diesen Vorschlagzu machen. Denk doch mal nach. Die Idee ist perfekt. Genau weil sie so absurd ist. Es ist unser Kind. Dein Neffe. Lass uns die Gelegenheit nutzen, um endlich nach vorne zu schauen. Wir sind jung, aber wir sind erwachsen. Wir können jetzt das Richtige tun und diese vielen Jahre, die noch vor uns liegen, ohne Kummer und Schmerz leben. Es geht hier um die Familie. Wir sind eine Familie. Ich weiß, wie wichtig dir das ist. Hast du es vielleicht schon mal von dieser Seite aus betrachtet?
    Hör auf.
    Du weißt, dass ich recht habe. Es ist dein Groll, der dich daran hindert.
    Ich verstehe, was du meinst. Aber es geht nicht.
    Nein?
    Ich kann es nicht annehmen.
    Verstehe ich dich richtig? Du lehnst es ab, der Pate deines Neffen zu werden?
    Hör zu. Ich verstehe dich. Die Idee ist tatsächlich perfekt. Aber es geht nicht. Du kannst nicht so tun, als wäre das so einfach möglich. Als könnte ich so mir nichts dir nichts verzeihen. Ihr träumt.
    Warum kannst du ihm nicht verzeihen?
    Erklärt sich das nicht von selbst?
    Bist du wirklich so kleinlich?
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