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Fluegellos

Fluegellos

Titel: Fluegellos
Autoren: Lucy Cardinal
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Bin aber gerade nicht zu erreichen, also versuch es bitte einfach später noch einmal oder sag mir das, was du mir sagen wolltest, nach dem Piep! « Lachend verstummte ich.
    Lachend.
    Ich klang auf dieser Tonspur so … glücklich.
    » Nina? « Ich riss die Augen auf. Valentin hinterließ mir eine Nachricht! Ich hielt den Atem an, um mich voll und ganz auf seine Stimme konzentrieren zu können. » Mein Gott, wo steckst du?! Ich mache mir Sorgen um dich. Wirklich! Also ruf mich bitte so schnell es geht zurück, ich werde hier verrückt! Emilia weiß auch nicht, wo du bist, meinte, dass du vorhin total wütend gegangen bist, und ich … Ruf mich bitte zurück, ja? Bitte. Und mach nichts Dummes. Ich habe wirklich Angst um dich, seit … «
    Es piepte und seine Stimme verstummte.
Es piepte !
    » Drecksding, hör auf, ihn abzuwürgen! Lass ihn ausreden! Verdammtes Mistteil! «, brüllte ich, aber durch das Paketband hindurch klang es nicht einmal mehr wie ein Hamster, der kläglich in einem Schuhkarton erstickte. Ich hatte keine Möglichkeit, mich bemerkbar zu machen.
    Scheiße! , brüllte ich in Gedanken weiter und spürte eine kalte Träne über meine Wange kullern. Valentin war kurz davor gewesen, mir zu verraten, was geschehen war. Oder hatte es zumindest andeuten wollen.
    Aber auch ohne mir eine Erklärung gegeben zu haben, hatte ich das Gefühl, mich wieder zu erinnern. Seine Stimme hatte etwas bei mir ausgelöst. Diese raue, sanfte Stimme … Sie erinnerte mich an etwas. An das Kribbeln auf einer Schiffsschaukel. An das Plätschern eines Flusses, viele, viele Meter unter mir. An den Geruch von Rasierwasser. An … an ein Fotoshooting mit Tonnen von Gänsefedern .
    Wie bitte?
    Ich öffnete die Augen und fand mich in vollkommener Dunkelheit wieder. Das Licht im Flur vor meinem Gefängnis war erloschen, ebenso wie das Display des Smartphones.
    Gänsefedern.
    Federn.
    Flügel.
    Engel.
    Ich begann zu zittern. Jetzt kamen die Erinnerungen Stück für Stück wieder hoch.
    Es hatte alles damit zu tun. Dass ich jetzt hier saß, an ein Rohr gefesselt und mit zugeklebtem Mund wie in einem schlechten Horrorfilm, hatte alles damit zu tun.
    Engel.
    Ich spürte einen heißen Kloß in meiner Kehle und versuchte, ihn hinunterzuschlucken, aber ich versagte kläglich. Eine Träne kullerte aus meinem Augenwinkel. Ich war so dumm gewesen. So unfassbar dumm, naiv und albern, die ganze Zeit über.
    Ich wusste wieder, wer Valentin war. Er war nicht mein Entführer. Im Gegenteil.
    Er war vermutlich der einzige, der mich jetzt noch retten konnte.

2
    Eine Woche vor der Gegenwart
     
    Ich fühlte mich nicht gut.
    Unruhig überschlug ich die Beine und faltete die Hände im Schoß. Mein Blick wanderte durch das kalte, in reinstem Weiß gehaltene Zimmer und mir war, als kam mein leichtes Frösteln von dieser Farbe. Weiße Wände, weißer Teppich auf hellem Laminat, weißes Sofa, weißer Sessel und eine weiße Orchidee in einer gläsernen Vase auf einem – natürlich weißen – Schreibtisch. Eine triste, kleine Palme, versteckt in der hintersten Ecke, war der einzige Farbfleck im ganzen Raum. Doch auch ihr Blumentopf erinnerte an eisigen Schnee.
    »Alles gut?«, fragte Emilia, die gerade aus der Küche zurückkam. Zu allem Überfluss trug auch sie ein weißes, kurzes Kleid und weiße Porzellantassen in beiden Händen. Ich kam mir vor wie im Himmel, allerdings auf eine negative Art. Ich kam mir tot vor.
    »Ja«, log ich und nahm die dampfende Teetasse entgegen. Als ich mir ihrer Wärme bewusst wurde, legte ich meine Hand komplett um sie. Sie war der einzige Funken Wärme in dieser ganzen Wohnung.
    »Gut.« Emilia setzte sich mir gegenüber auf den Sessel und zückte Kugelschreiber und Notizblock. Ich nahm ihr etwas übel, dass der Stift ebenfalls weiß war. »Also, erzähl mal. Wieso wollten Sie, dass ich einen Artikel über Sie schreibe?«
    »Sie können mich duzen«, entgegnete ich.
    Sie setzte neu an. »Okay, wieso wolltest du , dass ich über dich schreibe?«
    »Im Grunde wolltest du über mich schreiben. Ich habe nur die Annonce aufgegeben, dass ich jemanden suche, der es tut.«
    Sie seufzte. »Wie auch immer.«
    Ich nahm einen Schluck Tee. Er schmeckte leicht bitter, aber nicht übel. Anerkennend nickte ich und stellte die Tasse ab. »Der ist gut«, lächelte ich. Als sie mich auffordernd ansah, räusperte ich mich und legte mir die Worte zurecht. »Der Grund, wieso ich wollte, dass du diesen Artikel schreibst, ist …« Ich zögerte.
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