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Fluegellos

Fluegellos

Titel: Fluegellos
Autoren: Lucy Cardinal
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blieb dabei an den übrig gebliebenen Scherben hängen und brannte höllisch, als ich im offenen Wasser trieb. Wahrscheinlich machte ich mich nur etwas vor, aber ich hatte das Gefühl, dass um mich herum nun alles rot war. Ich spürte, wie mir schlecht wurde.
    Los, flehte ich mich innerlich an, packte all meinen Mut und pumpte meine Lungen hektisch mit Sauerstoff voll. Dann tauchte ich ab.
    Erst erkannte ich gar nichts, aber nach wenigen Sekunden hatte ich die groben Umrisse des Wagens erfasst, der nun schon fast vollkommen versunken war. Ich tauchte tiefer und packte die Türklinke. Dahinter erkannte ich die scheinbar leblose Silhouette meiner Mutter, deren Haare fast schon ruhig und sorglos im Wasser trieben.
    Die Tür ließ sich nicht öffnen!
    Ich rüttelte fester, schlug mit der Faust gegen die Scheibe, aber das Wasser bremste mich zu sehr ab. Ich versuchte es mit Tritten, aber es gelang mir nicht, kräftig genug gegen die Scheibe zu schlagen, um sie zu zerstören
    Kurzentschlossen ließ ich den Türgriff los und packte wieder meinen Fensterrahmen. Wieder schnitten die Scherben in meine Haut, wieder war es mir egal.
    Aber ich hatte vergessen, wieder Luft zu schnappen.
    Kaum hatte ich mich zur Hälfte in den Wagen ziehen können, begannen meine Kräfte, mich zu verlassen. Mein Sichtfeld verschwamm, bekam erst rote, dann schwarze Ränder und der Druck in meiner Lunge wurde immer größer. Panisch drückte ich mich wieder aus der Karosserie heraus und wollte an die Oberfläche schwimmen, aber wir waren mittlerweile mehrere Meter tief gesunken, ohne, dass ich es bemerkt hatte. Dennoch paddelte ich mit den Beinen, schob das Wasser mit den Armen hinter mich und arbeitete mich in Richtung der Oberfläche. Irgendwann realisierte ich in meinem Unterbewusstsein, dass ich es nicht schaffen würde. Aber mein Körper kämpfte weiter.
    Erfolglos.
    Kurz, bevor ich vollkommen das Bewusstsein verlor, sah ich, wie der Rumpf eines Bootes die Wasseroberfläche spaltete. Dann wurde alles schwarz und alle meine Sorgen schienen mir wie von Geisterhand genommen.
     
    Als ich meine Erzählung beendet hatte, hob ich den Blick und bemerkte, dass Emilia mich voller Entsetzen ansah. Ihre Hände waren in ihrem Schoß verkrampft und anscheinend hatte sie schon länger aufgehört, mitzuschreiben. Der Kugelschreiber lag ungeöffnet neben ihr auf dem Sofa.
    »Meine Eltern sind bei dem Unglück gestorben«, murmelte ich und holte tief Luft. »Mich hat man aus dem Wasser gezogen und so lange beatmet, bis ich wieder es wieder von selbst konnte.«
    »Wie alt warst du da?«, fragte Emilia, als sie die Sprache wiedergefunden hatte.
    »Es ist acht Jahre her. Ich bin im September danach 14 geworden.«
    Sie nickte langsam und tastete blind nach dem Kugelschreiber. Als sie ihn gefunden hatte, öffnete sie ihn mit einem Klicken und notierte sich etwas auf dem Block. Ihre Hand zitterte. »Was ist danach mit dir passiert?«, wollte sie wissen. »Bist du in ein Heim gekommen? In eine Pflegefamilie?«
    »Ich hatte Glück und bin bei Pflegeeltern gelandet. Sie sind auch nett, aber haben mir meine richtigen Eltern nie ersetzen können.« Ich lächelte, als ich an sie dachte. Es war lange her, dass ich sie seit meinem Auszug mit 18 Jahren besucht hatte. Sie waren vor einem halben Jahr nach München gezogen.
    »Wie heißen sie? Vielleicht kann ich sie ja auch dazu befragen.«
    »Janina und Jasper Kirsch. Ich wäre dir aber dankbar, wenn du das nicht tun würdest«, bat ich.
    »Wieso?«
    »Sie wissen von meiner Engelssache nichts.«
    »Oh.« Emilia strich etwas auf ihrem Zettel durch und nickte verständnisvoll. »Dann können sie mir auch nichts beantworten, was ich fragen will.«
    Ich nickte.
    »Hast du den Namen von dem, der dich damals gerettet hat?«
    Sofort schüttelte ich den Kopf. »Nein. Ich glaube auch nicht, dass er irgendwo zu finden ist.«
    Sie notierte weiter und stand auf. »Ich werde einen Freund von mir anrufen, der im Archiv des WDR arbeitet. Vielleicht hat er Informationen zu diesem Unfall, die mir helfen könnten. Ein bisschen Hintergrundwissen, verstehst du?«
    »Klar.« Ich lächelte und trank meinen Tee aus, während ich gedanklich noch einmal alles durchging, was ich erzählt hatte. Hatte ich etwas vergessen, was den Unfall betraf? »Ich glaube, das war auch soweit alles. Zumindest den Unfall betreffend.«
    Emilia, die gerade zum Telefon gegangen war und sich eine Nummer notierte, kehrte zurück zum Sofa. »Okay. Wie hat das denn mit der
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