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Flucht in die Hoffnung

Flucht in die Hoffnung

Titel: Flucht in die Hoffnung
Autoren: Tina Rothkamm
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schwappen gehört, doch die Bootsmaschine
brüllte. Sterne in südlichen Ländern erscheinen viel näher als bei uns, zum
Greifen nah. Im Grunde genommen brauchte ich nur meine Hand auszustrecken und
sie mir zu pflücken, einen nach dem anderen, so viele ich wollte. Dafür musste
ich mich nicht mal anstrengen. Sternschnuppen fielen vom Himmel, doch ich
zählte sie nicht. Mein Glück war ja schon da, fuhr mit mir über das Meer. Ich
war 28 Jahre alt und frei, frei, frei!
    Der Chefkoch, den ich zufällig kennenlernte, sorgte dafür, dass ich
eine Luxuskabine mit Meerblick bekam, ohne dafür bezahlen zu müssen, und ließ
mir den leckersten Couscous meines Lebens bringen. Niemals zuvor hatte ich so
etwas Köstliches gegessen.
    Ich genoss den Blick durch das Bullauge auf das Meer und hätte
gleichzeitig lachen und weinen und schreien können vor Freude, bis zum Platzen
voller Energie und Tatendrang.
    Am Hafen von Tunis empfing mich ein völlig durchgefrorener
Farid. Er wartete seit Stunden und machte ganz den Eindruck, als müsste ich ihn
erst mal aufpäppeln. Dabei war ich es doch, die eine lange Reise hinter sich
hatte. Wir gingen etwas essen und uns aufwärmen, dann fuhren wir … nach Hause!
Farid hatte in Sousse einen Bungalow für uns gemietet, und ich konnte es kaum
erwarten, mein neues Zuhause endlich zu sehen. Was er mir erzählt hatte, klang
wunderbar, eine gute Wohngegend, nah am Meer.
    Endlich waren wir da. Doch in dieser guten Wohngegend sahen alle
Bungalows gleich aus. Wie sollte ich mich hier jemals zurechtfinden?
    Auch Farid hatte Probleme. Ich neckte ihn, weil er unseren Bungalow
nicht fand.
    Seine Lippen wurden schmal. »Ich weiß genau, wo er ist. Ich will dir
nur die Gegend zeigen«, behauptete er und verlangte: »Jetzt links!« Und kurz darauf: »Rechts!« So fuhren wir im Kreis, und
seine Stimme klang immer nervöser.
    Das machte mich auch nervös. Farid hatte keinen Führerschein, also
war ich schuld, dass wir den falschen Weg eingeschlagen hatten. Verdrehte Welt
mit diesem Mann!
    Ich hatte das Steuer in der Hand, und er sagte, wo es langging, und
wenn ich abbog und sich die Richtung als falsch erwies, war das mein Fehler.
Ich hatte die finanziellen Mittel, er sagte, was damit geschehen würde. Ich
brachte die Möbel und den Fernseher und bezahlte die Miete für den Bungalow,
und er gab mir das Gefühl, sein Gast zu sein. Weil er so bestimmt auftrat.
Tunesisches Feuer …
    Als wir endlich vor dem richtigen Bungalow parkten, lehnte er sich
selbstzufrieden zurück. »Jetzt hast du gleich einen Eindruck von dem Viertel
hier.«
    »Danke«, sagte ich artig.
    Und dann hatten wir es beide sehr eilig, denn wir hatten uns lange
nicht mehr gesehen.

GUTE MÄDCHEN, HIMMEL UND FEGEFEUER
    Zwei Tage später begann meine Tätigkeit als Reiseleiterin,
und zu meiner Freude traf ich einige der Kollegen aus meiner Schulung auf
Mallorca im Tunesien-Team wieder. Wir sahen nun alle gleich aus in unseren
Reiseleiteruniformen. Ich fühlte mich unwohl, wie eine Politesse. Uniformen
wurden in meiner Familie abgelehnt. Mein Opa väterlicherseits hatte zu den
Nazis gehört, worunter mein Vater sehr hatte leiden müssen, als sein Vater aus
der Kriegsgefangenschaft zurückkehrte und weiterhin das Idol des Hitlerstaates
aufrechterhielt mit seiner gewalttätigen, erbarmungslosen Erziehung.
    Manche meiner Kolleginnen erblühten jedoch regelrecht in der
Uniform. Und Farid fand mich sehr sexy in meiner Arbeitskleidung, er liebte
Prestige- und Statussymbole.
    Zu Beginn war mein neuer Job spannend und aufregend für mich. Ich
genoss es, hinter die Kulissen der großen Hotels zu blicken und den Tourismusbetrieb
von seiner professionellen Seite kennenzulernen. Von der herrschenden
Korruption hatte ich allerdings nichts geahnt.
    Natürlich wollte ich alles richtig machen. Ich sprühte vor
Verständnis, Mitgefühl und Charme, wenn mir Gäste berichteten, dass eine
Kakerlake durch das Bad gelaufen sei. »Oh, wie schrecklich«, sagte ich und
schüttelte den Kopf, während ich insgeheim dachte, dass die Leute mal zu mir
nach Hause kommen sollten. Da hätten sie nicht nur eine Kakerlake gesehen,
sondern eine ganze Armee. Kakerlaken gehören in Tunesien zum Leben wie in
Deutschland Stubenfliegen.
    »Wir haben einen riesengroßen Wasserfleck im Flur«, beschwerte sich
ein Pärchen.
    »Tatsächlich!«, stimmte ich zu und hielt
meinen Finger an die Wand, als fühlte ich dem Mauerwerk den Puls. »Sie haben
recht!«
    »Wie soll man denn bei dem
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