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Flucht in die Hoffnung

Flucht in die Hoffnung

Titel: Flucht in die Hoffnung
Autoren: Tina Rothkamm
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für diesen Mann. Ich hatte ihn
geliebt, wie ich nie zuvor geliebt hatte, und gehasst, wie ich es nicht für
möglich gehalten hatte. Seine Machenschaften hatten mich dazu getrieben, den
Wahnsinn dieser Überfahrt zu wagen. Es war das Schrecklichste, was er mir hatte
antun können: mir meine Tochter zu nehmen.
    Ich wusste, wie sich so etwas anfühlte. Mir waren bereits zwei
Kinder entglitten. Um dieses würde ich kämpfen, diese Tochter würde mir niemand
nehmen, das hatte ich mir geschworen. Niemand – und auch nicht das Meer.
    Unser Boot kehrte Djerba den Rücken. Ich drehte mich nicht um.
Ich wollte nichts mehr mit dem Ort zu tun haben, der einmal das Symbol für
meine größte Sehnsucht gewesen war. Ich war neununddreißig Jahre alt und würde
mich nie mehr blenden lassen wie vor elf Jahren, als ich glaubte, den Mann meines
Lebens kennengelernt zu haben. Wie oft hatte ich mir gewünscht, ihm nie
begegnet zu sein … und doch hatte ich ihm begegnen müssen, damit unsere Tochter
geboren werden konnte.
    Mein Traum war gescheitert. Jetzt ging es nur noch darum, Emira zu
retten.
    Ich drückte sie fest an mich.
    »Bald sind wir da«, machte ich uns beiden Mut. Ein ganzer Tag und
eine Nacht in der Nussschale lagen vor uns.
    »Und dann kriege ich Würstchen mit Senf«, freute Emira sich.
    »Ja«, versprach ich und wusste in diesem Moment ganz genau, wie
Glück schmeckte: nach deutschen Würstchen mit Senf.

PAUSCHALREISE INS GLÜCK
    Das neue Jahrtausend war erst wenige Wochen alt, da
entdeckte ich bei einem Spaziergang am Rhein ein kleines Reisebüro mit einem
großen Glücksversprechen: Sonne, Meer und Palmen – sieben Tage und Nächte für
149 Mark. Ich blieb stehen. Im Schaufenster sah ich mein Spiegelbild von mir.
Übermüdet sah ich aus, erschöpft. Urlaubsreif, dachte ich und musste
unwillkürlich lächeln.
    Eine Pauschalreise hatte ich noch nie gebucht. Mit meinen Eltern war
ich in einem VW -Bus in den Ferien durch Frankreich
und Spanien gefahren. So sah Urlaub bei uns aus: improvisiert, abwechslungsreich
und spontan. Wie sehnte ich mich zurück nach dieser Leichtigkeit. Doch die war
unwiederbringlich verloren, seit meine Mutter so plötzlich gestorben war.
    Ich atmete durch, um mich von den Schatten der Vergangenheit zu
befreien. Sonne, Palmen, das weite Meer … wie verlockend das klang. In den
vergangenen Wochen war ich sehr fleißig gewesen und hatte neben meiner
Ausbildung zur Eurythmielehrerin noch eine Weiterbildung als Coach für
Burn-out-gefährdete Manager absolviert. Ein paar Tage ausspannen würden mir
guttun. Und warum nicht? Warum nicht mal was völlig Verrücktes wagen und eine
Pauschalreise buchen!
    Ich betrat das Reisebüro, das ausschließlich Schnäppchenreisen
vertrieb, und als ich es verließ, hatte ich gebucht. Dreisternehotel,
Halbpension. Über Tunesien wusste ich kaum etwas, doch es klang
faszinierend: nach orientalischer Musik, köstlichem Essen, nach Wüste, rassigen
Pferden und klassischem Bauchtanz. Den und seine Musik liebte ich schon lange.
Bauchtanz schien mir eine perfekte Ergänzung zu den fließenden Bewegungen, die
bei der Eurythmie zum Ausdruck gebracht werden. Eurythmie ist eine
durchgeistigte Bewegungskunst, während der Bauchtanz ein Erdentanz ist, der
seine Wurzeln in Afrika hat.
    Dass ich Eurythmie studierte, lag wohl mit an meiner damaligen
Eurythmistin an der Waldorfschule. Frau Dinkel, wie sie passenderweise hieß,
war eine besondere Persönlichkeit, die mich schon damals mit ihrer
Herangehensweise an das Leben sehr beeindruckte.
    Bei vielen meiner männlichen Schulkameraden war die Eurythmie nicht
sonderlich beliebt. Besonders Schüler in der Pubertät machen sich gene über die
»komischen« Bewegungen lustig. Gerade den Skeptikern versuchte ich dann
nahezubringen, welch tieferen Sinn diese Bewegungen haben und dass sie
besondere Möglichkeiten bieten, den Willen zu stärken, soziale und empathische
Fähigkeiten zu üben und das Leben besser zu meistern.
    Das eigene Leben meistern … doch, das würde ich nun auch endlich
schaffen, selbst wenn meine beiden Söhne beim Vater lebten und ohne mich
aufwuchsen. Ich wunderte mich, dass ich überhaupt noch Tränenflüssigkeit hatte,
so viel hatte ich in den vergangenen Monaten geweint. Wie hatte alles so weit
kommen können, wie nur hatten sie mir entgleiten können … Und dabei hatte ich
mir so sehr eine Familie gewünscht, hatte versucht, einem hochgesteckten Ideal
zu entsprechen, und war daran fast zerbrochen. Bis ich
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