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Grim - Das Siegel des Feuers

Grim - Das Siegel des Feuers

Titel: Grim - Das Siegel des Feuers
Autoren: Gesa Schwartz
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Kapitel 1

    egungslos hockte Grim auf dem Dachfirst über dem siebten Stock, die schwarzen Schwingen hoch über seinen Kopf erhoben, und starrte hinab auf die Straße. Seine Klauen hatten sich in die Fassade gekrallt, als wären sie ein Teil davon, und der Regen prallte von seinem Obsidianleib ab wie von der Hauswand unter ihm. Fast schien es, als säße nichts als eine riesige, dämonenhafte Statue dort oben, und nicht einmal dem aufmerksamsten Beobachter wären die nebelgleichen Wölkchen aufgefallen, die hin und wieder mit einem Seufzen aus dem steinernen Mund entwichen. In dieser Nacht jedoch schaute ohnehin niemand nach oben. Nur vereinzelt huschten Menschen tief unten auf dem Asphalt vorüber, die Köpfe vor dem Regen geduckt wie unter zischenden Schwertern.
    Grim konnte es ihnen nicht verdenken. Er hasste dieses Wetter. Vor über zweihundert Jahren war er von Italien nach Paris gekommen, und er hatte geglaubt, sich irgendwann an den Regen zu gewöhnen, an das feuchte Klima, die tiefhängenden Wolken, den pfeifenden Wind. Aber er hatte sich nie daran gewöhnt, im Gegenteil, immer schlimmer war es geworden, und nun, da ihn dieser verfluchte Auftrag seit Stunden daran hinderte, sich ein trockenes Plätzchen zu suchen, fühlte er sich plötzlich so alt wie noch nie. Er zwinkerte, dass die Regentropfen von seinen steinernen Wimpern fielen. Wie lange hockte er nun schon auf irgendwelchen Dächern herum, stunden- und tagelang, wie lange wartete er schon auf irgendwelche Sterblichen, wie lange schon war er ihnen gefolgt? Er wusste es nicht, er wusste nur eines: zu lange. Dabei gab es weiß Gott spannendere Aufgaben zu erledigen. Beispielsweise die Sache mit den Vampiren, die sich wieder einmal in sinnlose Clangefechte mit den Werwölfen verwickelt hatten und geradezu danach gierten, zur Raison gebracht zu werden. Oder der durchgedrehte Poltergeist, der seit Tagen wie ein Verrückter die Bilder im Louvre umhängte, dass es eine Freude war, und der immer noch nicht gefasst war.
    Grim schnaubte leise. Nicht, dass es ihn sonderlich kümmerte, ob die Mona Lisa auf einmal neben dem Toilettenschild für Herren zu finden war oder ob sich Vampire und Werwölfe die Köpfe einschlugen — ohnehin war es ein lächerlicher Zwist zwischen diesen beiden, der niemanden mehr hinterm Ofen hervorlockte, es sei denn, er war zufälligerweise ein Gargoyle und um die Sicherheit der Stadt bemüht. Doch solche Aktionen wurden zwangsläufig irgendwann von Menschen bemerkt, und damit gefährdeten sie das, was seit Jahrhunderten wie ein schweres Tuch über den steinernen Gassen von Paris lag: das Vergessen. Die Menschen ahnten nichts von den Geschöpfen, die unter ihnen lebten, erst recht nichts von den Gargoyles, und wenn Grim eines wusste, dann dass sie nie von ihnen erfahren durften — niemals. So lautete das Steinerne Gesetz.
    Dennoch waren diese Fälle gewissermaßen Routine. Natürlich waren sie immer noch spannender als sein eigener langweiliger Auftrag, aber bei Weitem nicht so anspruchsvoll wie diese andere Geschichte — die Sache mit den Morden. Ein Kribbeln zog über Grims steinerne Haut, als er daran dachte. Seit geschlagenen drei Wochen schlich ein namenloses Grauen durch die Schattenwelt von Paris. Siebzehn Tote gab es bis jetzt, jeder einzelne auf bestialische Weise ermordet — und allesamt überaus mächtige Geschöpfe. Hochmagische Gestaltwandler. Starke Werwesen. Uralte Vampire. Sie alle waren mit scheinbarer Leichtigkeit zur Strecke gebracht worden, aber ohne erkennbares Muster: Einen Werwolf hatte man ohne Haut gefunden, einen Vampir so ausgiebig gepfählt, dass er ausgesehen hatte wie ein Nadelkissen, und keines der Opfer stand in irgendeiner Beziehung zu einem der anderen. Fest stand nur eines: Der Mörder musste über unvorstellbare Kräfte gebieten, um diese Wesen in die Knie zu zwingen.
    Grim zog die Brauen zusammen. Hätte man ihm diese Angelegenheit anvertraut, wäre der Fall längst erledigt gewesen, davon war er überzeugt. Aber nein, er durfte die Drecksarbeit machen und im Regen auf Häusern herumsitzen, während die elenden Speichellecker seines Vorgesetzten Mourier wie die Schmeißfliegen um die Morde kreisten. Bis jetzt hatten sie in ihrem ratlosen Dilettantismus nicht das Geringste erreicht, verschwendeten aber dennoch einen Großteil ihrer Zeit damit, die lächerliche Krönungszeremonie des Königs vorzubereiten, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt. Grim schnaubte verächtlich.
    Er hatte gerade
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