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Flucht in die Hoffnung

Flucht in die Hoffnung

Titel: Flucht in die Hoffnung
Autoren: Tina Rothkamm
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wäre ich niemals in der
Lage gewesen, meine Hemmungen fallen zu lassen. Leider musste ich in der Nacht
noch einmal und dazu die Männer wecken, die auf meinen Beinen und meinem
rechten Arm lagen. Es machte mir nichts aus, Wildfremde so eng neben mir liegen
zu haben. Wir wärmten uns gegenseitig, und irgendwie tat es auch gut zu spüren,
dass wir alle in einem Boot saßen.
    Auf einmal wehte das Gerücht über Deck, wir würden uns nun in
Italien befinden. Da warf meine Hoffnung Anker. Mein Lebenstraum unserer vereinten
Familie könnte tatsächlich Wirklichkeit werden! Schließlich näherte sich ein
riesengroßes Schiff, das wie eine Wand vor uns im ersten Morgengrauen
auftauchte.
    »Is everybody okay?«, schallte es in dem
melodisch weichen Englisch, das den Italiener verriet, über einen Lautsprecher.
    Jubel brach aus.
    »Grazie, grazie, mille grazie!«, rief ich
so laut ich konnte und hörte mich nicht, weil die Männerstimmen viel lauter schrien.
Sie riefen alles Mögliche: Danke und langes Leben und Glück
und Gesundheit euren Familien, es lebe Italien!
    »Grazie«, sagte Emira und schlief weiter.
    Das große Schiff begleitete uns. Ich dachte an Elias Bierdel von Cap
Anamur, doch er war es nicht. Es waren vermutlich Marinesoldaten, die uns so
fürsorglich empfangen hatten. Menschen. Wie auf unserem Schiff. Das waren wir
alle: Menschen. Die einen lebten in dem einen Land, die anderen in einem
anderen. Die einen hatten von Geburt an Glück, die anderen Pech. Menschen waren
wir alle.
    Am Horizont flirrten die Lichter des Küstenstreifens von
Lampedusa. Tränen liefen mir übers Gesicht. Ich war überwältigt. Die Plagen der
vergangenen zwanzig Stunden waren vergessen. Lampedusa … Das war kein Traum,
keine Fata Morgana. Das war Wirklichkeit. Das Glück war zum Greifen nah. Dieses
Mal würde keiner unsere Hoffnung zerstören.
    »Emira, ich sehe Italien!«
    »Grazie«, sagte sie noch einmal und zog sich den Daunenmantel über
den Kopf, obwohl es um uns nun immer lauter wurde. Jeder machte irgendein
Witzchen. Der Animateur aus dem Hotel zeigte, dass er sein Fach verstand, und
brachte das ganze Boot zum Brüllen. Ich wollte auch einen Beitrag leisten und
gab zu, dass ich mich noch nie im Leben so gefreut hatte, Italiener zu sehen.
    Kurz vor der Morgendämmerung erreichte unsere Nussschale den Hafen.
Langsam wurden wir zu einer Anlegestelle gelotst. Offensichtlich waren die
italienischen Behörden sorgsam darauf bedacht, jegliche Panik zu vermeiden.
Unser Boot wurde mit großen Lampen abgeleuchtet. Emira und ich waren schnell
entdeckt; die Italiener machten sich gegenseitig auf uns aufmerksam. Dann wurde
das Boot festgemacht. Eine ruhige Stimme forderte uns auf, langsam umzusteigen
in ein anderes Boot, um noch einige Meter weiterzufahren, damit alle Passagiere
sicher aussteigen konnten.
    Emira stand jetzt aufgeregt neben mir und hatte es plötzlich sehr
eilig.
    »Meine Tochter muss mal!«, rief ich.
Hilfreiche Hände streckten sich mir entgegen. Ich hob Emira zu einem Mann an
der Pier, der sie in Empfang nahm – und auf einmal hatte sie italienischen
Boden unter den Füßen und ich noch immer die Planken über dem Meer.
    Wenn ich in Italien ankomme, küsse ich die Erde. Das war mein Vorsatz gewesen, seit ich beschlossen hatte, mich auf dieses
Wagnis einzulassen. Doch ich kam nicht dazu, weil Emira weg war. Ich musste sie
zu mir holen, dachte ich nervös, das Spiel kannte ich bereits. Ich hatte es die
letzten paar Jahre bis zur Verzweiflung durchlitten.
    Doch diesmal hatte ich gewonnen. Endlich hatte ich meine Tochter in
Sicherheit gebracht. Niemand würde uns nun mehr trennen können. Später sollte
ich erfahren, dass man sie in Decken gehüllt in einen Notarztwagen gesetzt
hatte, bis sie schüchtern meldete, dass sie gar nicht krank sei, sondern bloß
Pipi machen müsse.
    Auf einmal war ich von Journalisten umringt, Kameras klickten.
    »Da dove vieni? Where do you come from? Sind Sie
Deutsche? Wie kommen Sie in ein solches Boot?«
    »Das«, sagte ich, »ist eine lange Geschichte.«

Mit einer Pauschalreise im Jahr 2000 fing alles an.

Unter den strengen Augen
     meiner Schwiegermutter
     lernte ich schnell, was sich
     für eine tunesische Ehefrau
     gehörte. Ich wollte ganz
     eintauchen in meine neue
     Heimat.



Ob bei der strapaziösen
     Olivenernte oder bei
     einem Ausritt in die Wüste
     – die Schönheit Tunesiens
     bleibt immer atemberaubend.



Das einfache Leben auf
     der Flucht war zwar eine
    
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