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Flucht in die Hoffnung

Flucht in die Hoffnung

Titel: Flucht in die Hoffnung
Autoren: Tina Rothkamm
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die Idee gekommen, dass seine
Familie seinen Lebensstil ablehnte oder gar kontrollierte. Liebe macht blind,
sagt man. Doch Liebe ist ein so essenzielles Gefühl, dass man Angst hat, sie
könnte zerbrechen. Dass man alles tut, um sie zu bewahren. Auch die Augen
verschließen.
    In den folgenden Tagen versuchte ich mehrfach, das Gespräch auf
seine Familie zu bringen, aber stets blockte Farid in der ihm eigenen,
eleganten Art ab. Wenn ihm ein Thema unangenehm war, sprach er einfach von
etwas anderem oder sagte gar nichts. Wenn er nicht reden wollte, redete er auch
nicht, und niemals fühlte er sich verpflichtet, eine Frage zu beantworten. Ich
drängte ihn nicht weiter, zu kostbar waren mir die wenigen Tage und Wochen, die
wir gemeinsam verbrachten. Ich dachte nicht voraus, und ich wusste ja nicht,
wie sehr ich in Zukunft darunter leiden sollte.
    Eine Woche später entdeckte ich auf der Heimfahrt von einem langen
Ausflug ein Richtungsschild.
    »Kuck mal!«, rief ich. »Das ist doch der
Ort, wo deine Eltern wohnen! Wir könnten sie besuchen.«
    »Nicht direkt«, erwiderte Farid.
    »Was meinst du mit ›nicht direkt‹?«
    »Sie wohnen in der Nähe von Sousse.«
    »Aber … da wohnen wir doch auch!«
    »Hm.«
    »Warum hast du mir das denn nicht gesagt? Da hätten wir sie schon
oft besuchen können! Ich dachte, sie wohnen in Karthago! Du kannst mir doch
sagen, wo deine Eltern wohnen! Warum hast du mich belogen?«
    Farid kitzelte mich.
    »Nicht!«, rief ich ihn lachend zur Ordnung.
»Ich muss mich auf den Verkehr konzentrieren!«
    Schon waren wir weitergefahren. Als mir das Ganze am Abend wieder
einfiel, kam ich zu dem Schluss, dass er mich mit Karthago als dem Wohnort
seiner Eltern hatte beeindrucken wollen. Es hieß, in Karthago würden viele
reiche Leute leben. War er nicht süß? Ich wusste ja, wie sehr er auf sein Ansehen
bedacht war. Ganz offenbar war es ihm wichtig, was ich von ihm hielt. Sicher
war das auch der Grund dafür, dass er mir immer so lange Listen schrieb und am
Telefon diktierte, was ich ihm alles aus Deutschland mitbringen sollte.
Markenjeans, Markenschuhe, Markenhemden. Es gefiel mir, dass er genau wusste,
was er wollte, und mehr noch: dass er wusste, wie er sich mir gegenüber
verhalten musste, um genau das zu bekommen, was er haben wollte.
    Im Nachhinein ist man immer klüger, heißt es. Und während ich über
diesen Zeilen sitze, weiß ich nur zu gut, dass ich hätte aufhorchen sollen, nachhaken,
ihn mit Distanz betrachten. Doch ich war jung, und ich war verliebt. In mir war
kein Argwohn, kein Misstrauen. Ich glaubte noch immer an das Gute im Menschen.
    Außerdem: Seine männliche Entschiedenheit machte mich einfach
schwach. So etwas war ich nicht gewöhnt, und statt mich dagegen zur Wehr zu
setzen – wie und warum auch? –, schmolz ich einfach dahin. So einen Mann hatte
ich noch nie kennengelernt. Einen, der wusste, was er wollte, und sich nicht scheute,
es zu verlangen. Es tat gut, sich anlehnen zu dürfen, das Ruder ein wenig aus
der Hand zu geben. Zu lange hatte ich stark, immer stark sein müssen.
    Mein Vater, mein Vorbild für die Männerrolle, ist ein sehr
fürsorglicher, liebevoller und weicher Mann, ganz anders als Farid. Ich war neu
in dieser Liga und genoss die erotische Ausstrahlung unbedingter
Durchsetzungskraft. Zudem hatte ich einen unglaublichen Lebenshunger, den ich
mit Farid teilte. Wir gingen jede Nacht aus. Tanzten manchmal bis zum Morgengrauen
und genossen es, in den Augen anderer zu lesen, was für ein schönes Paar wir waren.
Der hochattraktive, charmante Arzt und die hübsche blonde Deutsche. Nicht, dass
ich mich selbst so bezeichnet hätte. Es wurde uns schlichtweg so oft gesagt,
dass wohl irgendetwas dran sein mochte.
    Über unsere Zukunft sprachen wir nicht, denn das hätte nur wehgetan,
da sie eine Trennung beinhaltete. Viel zu schnell würde auch dieser Urlaub zu
Ende sein, und viel zu lange würde es bis zum nächsten dauern. Dabei wollte ich
gar keinen Urlaub mehr in Tunesien machen. Ich wollte wissen, wie es wäre, wenn
ich dort leben würde. Deshalb spielte ich im Urlaub Alltag. Ich besorgte den
Haushalt in der kleinen Wohnung und kochte jeden Tag. Farid schrieb an seiner
Doktorarbeit, nachmittags gingen wir ans Meer. Wie unkompliziert das alles war!
Niemand lehnte mich ab, weil ich Deutsche war, ganz im Gegenteil, oft wurden
wir abends eingeladen, alle interessierten sich für mich, und ich wurde überall
herzlich aufgenommen.
    Als ich schließlich wieder in
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