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Flitterwochen

Flitterwochen

Titel: Flitterwochen
Autoren: Anne Hertz
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Marzipanbrautpaar auf einer Hochzeitstorte. Es ist also eine ziemlich monothematische Bastelarbeit, die Jan-Ole da gefertigt hat. Ich schlage das Buch auf. Die erste Seite trägt eine Widmung in krakeliger Schrift:
    »Für meine liebe Lehrerin Frau Weltenstein – hier kannst Du alle Fotos von Deiner Hochzeit reinkleben. Dann hast Du sie immer bei Dir.«
    Ich muss schlucken. In meinem Hals steckt auf einmal ein riesiger Kloß.
    »Danke, Jan-Ole! Das ist wirklich ganz lieb von dir. Das kann ich bestimmt gut gebrauchen.« Irgendwann …
    Jan-Ole strahlt, und ich gebe mir Mühe, vor den Kindern nicht in Tränen auszubrechen. Abrupt drehe ich mich zur Tafel und schreibe in großen Buchstaben
Ferien
an. Dann wende ich mich wieder der Klasse zu, in der Hoffnung, eine feste Stimme zu haben.
    »So, die Ferien sind zu Ende. Und ich möchte von euch wissen: Was habt ihr Schönes gemacht? Schreibt mir das auf. Ihr könnt auch etwas dazu malen, wenn ihr wollt.«
    Das sollte für mindestens zwanzig Minuten Ruhe sorgen. Pädagogisch zwar nicht besonders wertvoll, aber ich muss mich mal einen Moment sammeln. Heute ist definitiv nicht mein Tag – auch wenn ich vorher schon wusste, dass er mit Sicherheit kein Highlight werden würde. Die
Lübecker Nachrichten
haben zwar freundlicherweise meinen vollen Namen nicht erwähnt, trotzdem wissen garantiert alle an der Schule, dass ich meine Osterferien doch nicht auf den Seychellen verbracht habe. Und demzufolge auch noch nicht verheiratet bin. Worüber ich mittlerweile froh bin – aber gleichzeitig auch traurig.
    Im Lehrerzimmer herrschte heute Morgen verdächtiges Schweigen. Nicht mal die Kinder haben etwas gesagt. Ob sie von ihren Eltern eingenordet wurden, keine peinlichen Fragen zu stellen? Sehr hanseatisch – und sehr seltsam bei Kindern in diesem Alter. Jan-Ole ist tatsächlich der Einzige, der mich auf die Hochzeit angesprochen hat. Immerhin sagt auch niemand etwas zum Bankraub, und alle Kinder sind brav zum Unterricht erschienen. Offenbar glauben die Eltern also an meine Unschuld – einer Schwerverbrecherin würden sie ihre lieben Kleinen wohl kaum anvertrauen. Luisa meldet sich.
    »Ja, bitte?«
    »Wenn wir Ihnen etwas von unseren Ferien erzählen, erzählen Sie uns dann auch etwas von Ihren?«
    Nachtigall, ick hör dir trapsen. Da siegt bestimmt gerade Neugier über vornehme Zurückhaltung. Ich seufze.
    »Okay, was willst du wissen?«
    Erst lächelt Luisa etwas verlegen, aber dann zielt sie ins Schwarze.
    »Wieso heißen Sie denn jetzt doch nicht Weltenstein? Wir haben vor den Ferien bei Frau Goldmann im Kunstunterricht extra ein Schild gemalt, auf dem »Willkommen, Frau Weltenstein« stand. Aber gestern hat Frau Goldmann dann bei uns zu Hause angerufen und Bescheid gesagt, dass wir das Schild heute nicht aufhängen sollen. Mama hat mir dann erklärt, dass Sie immer noch Samstag heißen und deswegen bestimmt traurig sind. Sind Sie traurig?«
    »Oh, das sind ja gleich zwei Fragen. Also erstens: Ich heiße immer noch Tine Samstag, weil ich nicht Herrn Weltenstein geheiratet habe. Und zweitens: Ich bin nicht traurig. Na ja, ein bisschen schon. Aber nicht so sehr.«
    Die Kinder schauen mich erstaunt an. Jan-Ole wagt sich wieder vor.
    »Du bist nicht traurig? Aber man heiratet doch, weil man sich ganz doll liebt und für immer zusammen sein will, das sagt jedenfalls meine große Schwester. Und du wolltest heiraten, also liebst du Herrn Weltenstein sehr. Dann musst du doch traurig sein, wenn das jetzt nicht geklappt hat.«
    Kinder bringen es doch irgendwie auf den Punkt.
    »Also, ich bin traurig, weil ich mir gewünscht hätte, dass es klappt. Aber in den letzten Tagen habe ich gemerkt, dass es vielleicht doch nicht so gut ist, wenn ich für immer mit Herrn Weltenstein zusammen bin. Und deswegen war es besser, nicht zu heiraten.«
    Betretenes Schweigen. Gut, vielleicht war das nicht ganz altersgerecht. Ich versuche es noch einmal anders.
    »Manchmal wünscht man sich etwas sehr, was aber eigentlich nicht gut zu einem passt. Also nehmen wir mal an, Jan-Ole will furchtbar gern Kapitän werden. Deswegen machen seine Eltern mit ihm Urlaub auf einem Schiff. Unterwegs stellt Jan-Ole aber fest, dass er ziemlich schnell seekrank wird und es ihm so lange auf einem Schiff gar nicht gefällt. Dann ist er bestimmt ein bisschen traurig, dass er nicht Kapitän wird, aber auch froh, dass er nicht mehr auf See ist.«
    Luisa nickt heftig. »Okay, dann waren Sie also froh, von dem Schiff wieder
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