Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fliege machen

Fliege machen

Titel: Fliege machen
Autoren: Lucie Flebbe
Vom Netzwerk:
weiter.
Deshalb mehr Kohle.«

    Â»Das ist doch Hundekacke!«, wurde Jo noch lauter. Die
hinter ihm Schlangestehenden brummelten zustimmend. »Die schmeißen das lieber
weg statt es uns zu geben?«

    Â»Genau. Die heißen nämlich nicht Robin Hood und verteilen
an die Armen, Schätzeken! Einen Supermarktmanager interessiert nicht, ob du
diese Woche was zu essen hast«, erklärte die Weißhaarige geduldig. »Und ich
kann von meiner Rente auch nicht für jeden hier das Essen bezahlen. Also musst
du ab heute zwei Euro berappen, kapiert?«

    Â»Ich hab aber nur einen Euro dabei, Elsbeth!«, knurrte
der Cowboy.

    Elsbeth winkte ihn durch: »Aber nächsten Monat denkste
dran, wenn du deine Stütze kriegst, verstanden?«

    Fluchend marschierte der Cowboy in die Kirche.

    Â»Na, zum ersten Mal hier?«, erkundigte sich die Frau da
bereits bei Danner.

    Â»Ja«, nickte der. Er ließ sein Portemonnaie aufklappen
und die Weißhaarige einen kurzen Blick auf eine Farbkopie von Stascheks
Dienstausweis werfen, auf die er sein eigenes Passfoto gebastelt hatte. »Wir
suchen Fliege.«

    Erlauben konnte er sich solche hilfreichen Ermittlungsmethoden
erst, seit er über einige säuberlich abgeheftete Fotos der Kripochefin in
Strapsen verfügte.

    Die Kassiererin zuckte die Schultern: »Kenn ich nicht, aber
sehen Sie sich ruhig selbst um.« Damit winkte sie uns ebenfalls ins Innere der
Kirche.

    Einen Moment lang sah ich im Halbdunkel nur die hohen,
kunterbunt leuchtenden Bleiglasfenster, die rund um mich herum zur Decke
strebten.

    Laute Stimmen hallten gar nicht ehrfürchtig durch den
Altarraum. Als sich meine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, erkannte ich
weitere Bierzelttische, die direkt vor mir im schmalen Gang hinter den
hölzernen Kirchenbänken aufgebaut waren. Plastikkörbe und Kühlboxen aus
Styropor waren über- und nebeneinander gestapelt. Die daran vorbeidrängelnden
Leute füllten Taschen und Tüten mit nicht mehr ganz frischem Obst, Brot,
Margarine, Joghurt, übrig gebliebenen Schokoweihnachtsmännern und sogar Fertiggerichten
von Weight-Watchers.

    Â»Na, Schnucki? Du stehst wohl auf mich, wa?« Die mutmaßlich
Obdachlose hatte ihre riesige Aldi-Tüte prall gefüllt. Ohne Kontaktscheu kniff
sie Danner in den Hintern.

    Danner schob sich die Mütze ins Genick: »Hab leider keine
Zeit, Süße. Ich such Fliege.«

    Missbilligend runzelte die Frau ihr zerfurchtes Gesicht:
»Biste schwul, oder was?«

    Danner verkniff sich ein Grinsen. »Weißt du denn, wo ich
den finde?«

    Sie schüttelte bedauernd den Kopf. »Hat sich lange nich
mehr blicken lassen. Hätt ihm ja gern mal wieder seinen knackigen Hintern
gewärmt, bei dem Scheißwetter.«

    Â»Kennst du jemanden, der weiß, wo ich ihn finde?«

    Sie kniff die Augen zu zwei faltigen Schlitzen zusammen
und musterte erst Danner, dann mich misstrauisch. »Was willste ’n von dem?«

    Â»Er hat seinen Köter verloren.«

    Die Frau zögerte einen Moment.

    Â»Dann frag mal die Eule«, entschied sie sich schließlich,
uns weiterzuhelfen. »Die hat was mit dem. Vielleicht weiß die, wo der jetzt
pennt. Meistens verkauft se bodo am
Dr.-Ruer-Platz.«

    Â»bodo?«

    Der spöttische Blick der Untoten verriet, dass sie bei
mir eine Bildungslücke entdeckt zu haben glaubte, die problemlos mit den
Ausmaßen der Löcher ihrer Zähne konkurrieren konnte: »Das ist die
Straßenzeitung hier in Bochum und Dortmund.«

    Ach so . Bo – Do eben.

    Â»Einer der wenigen Jobs, die unsereins auch ohne festen
Wohnsitz bekommt, Süße.«

    Â 

5.

    Meine Bildungslücke war eine auf
Recyclingpapier gedruckte Zeitschrift, deren aktuelles Titelfoto eine füllige
Frau in einem weißen Kittel zeigte, und kostete einen Euro achtzig.

    Seit fünfzehn
Jahren behandelt Dr. Raissa Schmidtmeyer Obdachlose ehrenamtlich, lautete
die Überschrift.

    Danner drückte der Verkäuferin zwei Euro in die Hand und
nahm sich die oberste Zeitschrift vom Stapel.

    Die Frau hatte flaumig-dünne Haare, denen eine schiefgegangene
Färbung einen orangefarbenen Schimmer verlieh. Ein Haufen silbriger Ringe
glänzte in beiden Ohren. Sie hockte neben dem Zeitschriftenstapel auf einer
Wolldecke und blinzelte durch eine runde Brille. Die dicken Gläser vergrößerten
ihre von langen Wimpern umrahmten Augen so
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher