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Fliege machen

Fliege machen

Titel: Fliege machen
Autoren: Lucie Flebbe
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wütend. »Iss endlich und dann treib den verdammten Penner auf, damit
ich die Ratte wieder loswerde. Der hat mir in die Bude gepinkelt heute Nacht.«

    Â 

4.

    Unsere Mittagspause war also nach knapp
zwanzig Minuten beendet.

    Â»Na schön, also was haben wir?«, fragte ich, während ich
mir noch schnell meinen grünen Schlabberpulli über mein braves
Praktikantinnen-Outfit zog und mir einen dicken Schal um den Hals wurschtelte.

    Danner setzte seine Mütze wieder auf und schloss den
Reißverschluss seines dunkelblauen Winterparkas bis ans unrasierte Kinn: »Wir
wissen, dass Fliege an dem Abend noch ein paar Vampire jagen wollte.«

    Â»Also suchen wir ihn auf dem Friedhof in irgendeiner
Gruft?«, alberte ich, während ich mich bemühte, meine alte, blaue Cordjacke
über den beiden Pullis zuzuknöpfen. Wegen Schal und Rollkragen ließen sich die
oberen Knöpfe nicht schließen. Sobald die Müller-Wunk uns bezahlt hatte, musste
ich mir unbedingt eine Winterjacke besorgen.

    Â»Versuchen wir erst mal rauszufinden, wo sich Fliege
rumtreibt, wenn er sich nicht bei Molle durchschnorrt«, schlug Danner vor.

    Â 
    Schon seit ein paar Tagen war es lausig kalt. Die
Temperaturen krochen selbst gegen Mittag kaum mehr über den Gefrierpunkt.

    Nach knapp fünfzehn Minuten Fußweg von unserer Detektei
bis in die Innenstadt schlotterten mir die Knie. Ein klirrend kalter Wind
heulte durch die engen Häuserschluchten der Bochumer Innenstadt und fraß sich
durch meine zwiebelartig übereinandergeschichtete Kleidung.

    Als wir den Westring überquerten, pfiff eine so boshafte
Böe die Straße hinunter, dass ich den Rücken gegen den Wind drehte. Wir ließen
uns ein Stück den Gehweg hinunterpusten, bis Danner am Willy-Brandt-Platz vor
dem Rathaus plötzlich innehielt.

    Â»Aha«, sagte er nur und wechselte die Richtung.

    Das Bochumer Rathaus war ein kantiger, sechs Stockwerke
hoher Klotz aus dickem Stein. Beeindruckend, beinahe bedrohlich, wie eine
Festung. Die Fenster am Burgtor waren mit gusseisernen Gittern gesichert, die
massiven Türen mit Metall beschlagen.

    Heute fehlte diesem Ort jede Farbe. Der dick bewölkte
Januarhimmel war grau, die Steinplatten des Willy-Brandt-Platzes waren grau,
die Festungsfront des Gebäudes war grau. Nicht mal die Stämme der wenigen
kahlen Bäumchen hoben sich von der Farblosigkeit dieses Ortes ab. Die
Baumkronen hatte man passend zu den kantigen Formen des Platzes schnurgerade
gestutzt.

    Grau schien auch die in Lumpen gehüllte Gestalt, die im
Schutz des von schweren, eckigen Steinsäulen getragenen Dachüberstandes des
Rathauses hockte.

    Auf einem platt gedrückten Pappkarton saß der Mann auf
der Steinbank, die sich an der gesamten Rathausfront entlangzog. Sonnenschein
mochte diese Sitzgelegenheit angenehm warm aufheizen, doch bei diesen
Temperaturen drohte man daran festzufrieren.

    Neben dem Mann stand eine Bierflasche. Unter einem Schlapphut
quollen schulterlang strähnige Haare hervor und das eingefallene Gesicht hatte
eine unnatürlich gelbe Farbe. Über den Jochbeinen spannte sich die schlecht
durchblutete Haut der Wangen, sodass ich die Konturen des Schädelknochens
darunter erahnen konnte.

    Â»Tach«, meinte Danner. »Wir suchen Fliege.«

    Â»Wat?«

    Â»Fliege.« Danner zupfte am Kragen seines Parkas. »Kollege
von dir. Nicht besonders groß, kräftig, hat ’nen kleinen, schwarzen Hund und
trägt ’n Sakko.«

    Â»Kenn ich nich.«

    Danner kramte sein Portemonnaie hervor und zog fünf Euro
heraus. »Wirklich nicht?«

    Â»Nur vom Sehen«, erinnerte sich der Penner prompt.

    Ich betrachtete die Bierflasche, die der Mann nun mit beiden
Händen umklammerte. Seine Finger waren lang, knochig, die Gelenke viel dicker
als die Glieder dazwischen, die Nägel gelb, eingerissen und schmutzig.

    Â»Weißt du, wo wir ihn finden?«

    Â»Nö.«

    Â»Kennst du jemand, der weiß, wo wir ihn finden?«

    Der Obdachlose musterte Danner mit getrübtem Blick. Sogar
seinen Augen fehlte eine Farbe, fiel mir auf. Das Weiße darin war gelblich
verfärbt.

    Danner zog weitere fünf Euro aus dem Portemonnaie.

    Â»Frag mal die Weiber«, riet der Penner.

    Â»Welche Weiber?«

    Â»Ist egal.«

    Â 
    Als Nächstes versuchten wir es bei der Tafel, die an jedem Wochentag an einer
anderen Ausgabestelle nicht mehr haltbare
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