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Fliege machen

Fliege machen

Titel: Fliege machen
Autoren: Lucie Flebbe
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Lebensmittel aus Supermärkten,
Geschäften und Restaurants an Bedürftige verteilte.

    Mein Handy war internetfähig und ein kurzer Blick auf die
Homepage der Tafel hatte uns
verraten, dass die Ausgabe dienstags praktischerweise ab dreizehn Uhr an der
Pauluskirche in der Innenstadt stattfand.

    Nach fünf weiteren Minuten zu Fuß durch die von der Kälte
leer gefegte Einkaufszone erreichten wir die schmale Gasse, die auf den
Kirchhof führte.

    Auch hier bemerkte ich die Enge. Vierstöckige, hellgraue
Gebäudewände grenzten den Platz vor der Kirche ein. Mir kam es vor, als rückten
sie immer näher. Uralte, mit Efeu bewachsene Bäume reckten knorrige Stämme und
kahle Äste zwischen den Häusern zum Himmel empor. Efeu rankte sich auch um die
hohen Bleiglasfenster des kurzen Sandsteinbaus mit dem spitz in die Wolken
pikenden Kirchturm.

    Ich staunte nicht schlecht über die Menge dick vermummter
Menschen, die sich dem Wetter zum Trotz zwischen der halbhohen Kirchenmauer und
einem provisorischen Bauzaun vor dem Eingang versammelt hatte.

    Â»Würde mich interessieren, ob die Sonntagspredigt genauso
gut besucht wird«, bemerkte Danner.

    Kinder mit Mützen und Handschuhen rannten kreischend
durcheinander, farbige und weiße. Einige Rentnerinnen hatten sich, auf ihre
Rollatoren gestützt, an die Mauer angelehnt. Eine gepflegte ältere Dame in
einem altrosa Mantel unterhielt sich lachend mit einer jungen Mutter, die einen
Kinderwagen hin- und herschuckelte. Hinter den beiden Frauen stand ein Wildwestfan
mit Schnurrbart, Cowboyhut und Lederstiefeln mit zwei bärtigen
Harley-Davidson-Freunden.

    Die Älteren zogen Einkaufstaschen auf Rädern – vorzugsweise
kariert – hinter sich her, andere hatten Körbe, Taschen, einige nur ein paar
zusammengeknüllte Plastiktüten dabei.

    Offensichtlich zählten nicht nur Obdachlose zu den
›Kunden‹ der Tafel. Tatsächlich
schien sogar der Großteil der Bedürftigen Rentner oder Mütter mit Kindern zu
sein. Ich hatte mir noch nie Gedanken darüber gemacht, wer gespendete Lebensmittel
benötigte, erkannte ich. In meinem ersten Leben als behütete
Oberstaatsanwaltstochter waren Hilfseinrichtungen dieser Art schlicht und
einfach nicht vorgekommen.

    Danner riss mich aus meinen Gedanken.

    Er deutete auf eine Frau mit gebeugtem Rücken, die Erste
in der Reihe. Sie wartete, mit dem Rücken an die steinerne Säule neben der
hölzernen Kirchentür gelehnt. Die Alte sah aus wie schon lange verstorben – und
plötzlich kamen mir Flieges Vampirgeschichten gar nicht mehr so absurd vor. Ihr
zerfurchtes Gesicht war von braunen Altersflecken übersät wie von platt gedrückten
Rosinen. Die Haare hingen struppig herunter. Die Frau kam durchaus als Kollegin
unseres verschwundenen Penners infrage. Sie bemerkte Danners Blick und grinste
ihn lückenhaft an. Einzelne gelbe Zähne ragten aus bräunlichem Zahnfleisch.

    Doch bevor wir die Frau erreicht hatten, wurde die Holztür
mit einem Klacken entriegelt und schwang quietschend auf. Die Alte huschte als
Erste ins Innere der Kirche. Und der Strom aus Menschen ergriff uns und spülte
uns ebenfalls auf die dunkle Türöffnung zu. Schon standen wir eingekeilt
zwischen Mauer, Bauzaun und schiebenden Menschen in der auf das Portal
zukriechenden Schlange.

    Den Vorraum der Kirche trennte eine Bierzeltbank in
Eingang und Ausgang. Brav stellten sich alle Kunden auf der rechten Seite an,
wo eine zierliche Frau mit kurzem, weißem Haar an einem wackligen Tischchen zur
Kasse bat.

    Achtung, las
ich über ihr auf einem Pappschild. Der
Spendenbetrag pro Lebensmittelration hat sich ab sofort auf zwei Euro erhöht!

    Â»Wat soll dat heißen, zwei Euro?«, ereiferte sich da
schon der Cowboy lautstark. »Wir sind hier nich anner Börse, dass ihr einfach
die Preise hochziehen könnt!«

    Â»Sorry, Jo.« Die Kassiererin hob beschwichtigend die
Hände.

    Â»Die Supermärkte haben neue Vorschriften, wegen der
Hygiene und so. Die werfen jetzt jeden Tag nach Ladenschluss alle abgelaufenen
Waren weg. Egal, ob die noch gut sind oder nicht.«

    Es lebe der Wohlstand.

    Â»Na und?«, grollte der Westernfan.

    Â»Wir müssen jetzt jeden Tag jemanden hinschicken statt
nur zweimal die Woche. Und wenn wir zu spät kommen, haben die trotzdem schon
alles weggeschmissen. Wir brauchen mehr Leute und mehr Sprit und so
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