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Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Titel: Flieg, Hitler, flieg!: Roman
Autoren: Ned Beauman
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leiser, und plötzlich hatte sie das Gefühl, dass jede einzelne Person im Pub sie anstarrte. (Sie war noch nie zuvor an einem solchen Ort gewesen, und so zittrig sie sich auch fühlte, hatte die Fülle doch eine fröhliche Triebhaftigkeit an sich, die den Schweiß, das Bier und den ungezwungenen Jubel unter der niedrigen Holzdecke umherschwappen ließ. Sie dachte daran, wie alltäglich ihr Sommerabenteuer mit Sinner all diesen Männern und Frauen wohl erscheinen würde. Und die vorwitzigen, aufsässigen, portweinsaufenden Jungen, über die ihre Freundinnen auf Bällen getuschelt hatten, die Winchester- und Eton-Schüler, die »so ungestüm, viel zu ungestüm« waren: Hier hätten sie nicht lang genug durchgehalten, um ihre zweiten Vornamen aufzuzählen.) »Kennt hier irgendwer Seth Roach?«, fragte sie noch einmal und versuchte, ganz ruhig zu sprechen. Einige Leute riefen ihr etwas zu, das sie für irgendein unverständliches Schimpfwort hielt, und all ihre Selbstsicherheit schwand, bis sie erleichtert erkannte, dass es kein Schimpfwort war, sondern ein Name. »Frink? Frink?«, sagten sie.
    Endlich wurde Frink aus dem hinteren Teil herbeigeschafft.
    »Ja, Miss?« Er hielt ein Pint Bier in jeder Hand.
    »Sie kennen Seth Roach.«
    »Ich kannte ihn, das stimmt. Aber ich hab ihn über ein Jahr nicht gesehen. Sind Sie ’ne Freundin von ihm?«
    Evelyn war diesem freundlich aussehenden Mann zutiefst dankbar, dass er diese Frage ohne den leisesten Anflug von Ironie oder Unglauben stellte. »Er ist tot«, sagte sie.
    Frinks Gesicht verdüsterte sich, aber er schien über die Mitteilung nicht besonders überrascht zu sein. »Oh. Tut mir leid, das zu hören. Aber danke, dass Sie gekommen sind, um es mir zu sagen.«
    »Wie alt war er?«
    »Er muss achtzehn gewesen sein, wenn ich mich nicht irre. Weiß es seine Mutter schon?«
    Evelyn hatte nie einen Gedanken daran verschwendet, dass Sinner Eltern hatte, ebenso wenig wie man darüber nachdenkt, ob ein Gewitter Eltern hat. »Nein. Aber ich brauche Ihre Hilfe.«
    »Mit der Beerdigung? Ich gebe Ihnen, so viel ich kann«, sagte Frink, jetzt allerdings ein wenig skeptisch – arm sah Evelyn nicht aus.
    »Das ist es nicht«, erwiderte Evelyn und gab sich große Mühe, Sinners schreckliches Abkommen mit ihrem Bruder zu erklären. Frink hörte mit gerunzelter Stirn zu. »Gibt es irgendetwas, was Sie tun können, um uns zu helfen?«, schloss sie. »Um ihm zu helfen?«
    »Sie meinen, eine Leiche beseitigen, sodass sie niemand findet?«, sagte Frink. »Das ist nicht meine Branche, Miss. Nie gewesen. Tut mir leid.«
    »Aber Sie müssen doch jemanden kennen.«
    »Das ist ein dreckiges Geschäft.«
    »Er wurde ja nicht ermordet oder etwas in der Art.« Sie erinnerte sich voller Schrecken daran, dass das Wort »Mord« etwas bezeichnete, das jetzt tatsächlich im Bereich ihrer Erfahrungen lag.
    »Trotzdem; es ist ja nicht nur eine Frage der –«
    »Hören Sie: Er liegt in einem Taxi am Ende der Straße.«
    »Er tut was?«
    »Wenn Sie uns nicht helfen, müssen meine Freundin und ich es selbst machen. Dann geht bestimmt etwas schief, irgendjemand wird es herausfinden, und ich weiß nicht, was mit uns beiden passiert, aber viel wichtiger ist, dass dann mein Bruder Sinner in die Finger bekommt, und wenn Sie wüssten, wie sehr Sinner das vermeiden wollte –«
    Frink unterbrach sie. »In Ordnung. In Ordnung. Ich kenne jemanden. Und wie es das Schicksal will – ein ziemlich finsteres Schicksal, würde ich sagen –, ist er hier. Aber er ist nicht die Sorte Mann, mit der Sie sich einlassen wollen. Sie verstehen mich?«
    »Ja.«
    »Das geht auf Ihre Kappe.«
    »Ja.«
    »Dann kommen Sie mit.«
    Frink führte sie durch die Menge in das Hinterzimmer des Pubs, das nicht ganz so überfüllt war, weil es dort keine Bar gab. Eine vollbusige junge Frau in einem zerrissenen Kleid kicherte hemmungslos, während sie und ein kräftiger Mann im Anzug die Parodie eines Walzers tanzten. Frink tippte dem Mann auf die Schulter.
    »Hör zu, Albert. Hier ist eine Dame für dich.«
    »Schönere Worte wurden nie gesprochen«, sagte Kölmel. Nachdem er sich mit übertriebener Höflichkeit bei dem vollbusigen Mädchen entschuldigt hatte, wandte er sich an Evelyn. »Wie heißen Sie, meine Schöne?«
    »Evelyn Erskine.«
    Sein Blick allein war zehnmal schlimmer als das Pokneifen draußen vor dem Pub. Selbst die abscheulichsten jungen Männer bei Lady Mollys Tanzabenden sahen sie nur an, als wollten sie sie, aber Kölmel
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