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009 - Die Bestien

009 - Die Bestien

Titel: 009 - Die Bestien
Autoren: B.R. Bruss
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Der Landrat zerschnitt das Band, das quer über die Brücke gespannt war, und betrat mit der Delegation das neue Bauwerk. Die Einweihungsfeier wurde durch strahlenden Sonnenschein verschönt, und die Bevölkerung war in großer Zahl herbeigeeilt. Die Musikkapelle von Barsec stand am Flussufer und spielte einen schwungvollen Marsch. Tief unter der Brücke strömten die klaren Wellen des Flusses dahin, der für seine ausgezeichneten Forellen bekannt war. Im Westen – über die Brücke nun bequem zu erreichen – sah man die sauberen Häuser von Barsec um den hohen, alten Kirchturm geschart.
    Der Landrat, begleitet von zahlreichen Beamten und dem Bürgermeister von Barsec, war jetzt in der Mitte der Brücke stehen geblieben und hatte den Text seiner Rede aus der Tasche gezogen.
    Albert Gratien, eine vornehme Erscheinung, groß und schlank, hörte sich gern reden, und seine Ansprache war nicht gerade kurz zu nennen. Er sprach von den Segnungen der modernen Technik, wies auf die bisherigen Verkehrsverhältnisse im Bezirk hin, und kam kurzum vom Hundertsten ins Tausendste.
    »Meine Damen und Herren, ich weiß, dass viele von Ihnen lieber eine Steinbrücke gehabt hätten«, sagte er gegen Ende seiner Rede, »doch man muss mit der Zeit gehen. Erfreuen Sie sich also an dieser eleganten Konstruktion, die ganz und gar aus Metall errichtet wurde.«
    Die Metallkonstruktion, die rund zwanzig Meter über dem Fluss schwebte, wurde von zwei eleganten Pfeilern getragen und sah in der Tat nicht nur praktisch, sondern auch schön aus.
    »Wir wollen heute jedoch nicht versäumen«, fuhr der Landrat fort, »auch derer zu gedenken, die bei der Errichtung der Brücke ums Leben kamen. Wie Sie alle wissen, haben sich während des Baus ungewöhnlich viele schwere Unfälle ereignet, von denen mehrere tödlich ausgingen. Es wurde sogar erwogen, die Bauarbeiten deswegen völlig einzustellen, obwohl alle gebotenen Vorsichtsmaßnahmen strengstens beachtet worden waren. Wir alle gedenken heute daher mit tiefem Schmerz der Opfer.«
    Nachdem er noch ausführlich auf die Segnungen der modernen Verbindungswege eingegangen war, kam er endlich zum Schluss.
    »Und damit, meine Damen und Herren, übergebe ich heute die Brücke von Barsec dem Verkehr.«
    Es folgte Applaus, und die Kapelle spielte einen Tusch.
    Der Landrat wischte sich den Schweiß von der Stirn und wandte sich seiner Begleitung zu. In diesem Moment griff sich der Bürgermeister von Barsec – ein dicker freundlicher Mann mit gerötetem Gesicht – an die Brust, und im nächsten Moment stürzte er zu Boden.
    Man beugte sich zu ihm nieder, öffnete ihm den Hemdkragen, und ein Arzt, der unter den Zuschauern war, eilte herbei. Zwei Polizisten trugen den Ohnmächtigen in den Schatten eines Baumes am Flussufer. Als man ihn dort niederlegte, war er bereits tot.
    Der in seiner Gemeinde sehr geschätzte Mann wurde lebhaft betrauert. Bedrückt wurde die Einweihungsfeier abgebrochen. Der Arzt stellte als Todesursache einen Herzanfall fest, der auf die große Hitze zurückzuführen war.
    Aber das war nicht die einzige Tragödie, die sich an diesem Tag ereignete.
    Als man beim traditionellen Festbankett saß, das durch die Ereignisse nun zu einem Leichenschmaus geworden war, stürmten plötzlich zwei erregte junge Männer in den Speisesaal des Restaurants. Sie verkündeten, dass ihr Freund, der junge Leon
    Coutarde, der Sohn des Drogisten, soeben auf der neuen Brücke ums Leben gekommen sei.
    Zu dritt waren sie hintereinander hergefahren, alle auf ihren Fahrrädern, als Leon aus unerklärlichen Gründen in der Mitte der Brücke plötzlich vom geraden Kurs abbog, stürzte und sich am Brückengeländer den Schädel einschlug.
    Der Landrat fuhr gegen fünf Uhr zur Witwe des Bürgermeisters und begab sich anschließend auch zu den unglücklichen Eltern des jungen Mannes. Dann brach er von Barsec auf, um sich in die Kreisstadt zurück zu begeben. Dort wurde er bald darauf mit zwei gebrochenen Beinen eingeliefert.
    Sein Wagen war aus der leichten Kurve vor der neuen Brücke getragen worden und den Abhang hinuntergestürzt. Der Fahrer des Landrats war dabei ums Leben gekommen.
    Fünf Tage später, am 9. Juli gegen zehn Uhr morgens, entdeckte der Briefträger zu seiner Verwunderung kurz hinter der neuen Brücke das Pferdefuhrwerk des Müllers, das ohne Kutscher am Wegrand stand. Ein Rad war zerbrochen. Die beiden Pferde grasten friedlich am Rand der Chaussee. Der Briefträger machte sich auf die Suche nach dem
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