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Fleckenteufel (German Edition)

Fleckenteufel (German Edition)

Titel: Fleckenteufel (German Edition)
Autoren: Heinz Strunk
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Schiff, das sich Gemeinde nennt mitteilt. Die Erwachsenen können es gar nicht fassen, es ist, als hätte man ihnen den Verlust eines nahen Angehörigen beigebracht. Selbst Herr Schrader ist so geschockt, dass er sich ungeniert am dicken Arsch kratzt und durch seine rauchvermoosten Vorderzähne tonlos vor sich hin pfeift. Fiedlers schwanken unruhig hin und her, Korleis’ knochiges Gesicht ist hinter der hässlichen Brille noch papierhäutiger geworden.
    Mit eingedunkelter Miene sagt der Pastor das nächste Lied an: Herr, deine Liebe. Ob irgendein Zusammenhang zwischen dem Text und Elvis’ Tod besteht? Mir fällt auf, dass ein Knopf von Pastor Schmidts Oberhemd in zwei Hälften auseinandergebrochen ist. Vielleicht hat er ja seine Frau bei einem Elvislied zum ersten Mal geküsst. Heartbreak Hotel. Love Me Tender. Can’t Help Falling in Love.
    Elvis tot, das geht doch irgendwie gar nicht, Elvis, Elvis Presley. Ich habe einen Kloß im Hals, wässriger Rotz läuft mir aus der Nase, das Blut pocht wie verrückt in der Höhlung meines Handgelenks. Die ungeheuerliche Nachricht erschüttert mich bis ins Mark, obwohl ich nicht recht weiß, warum, denn ich war kein Elvis-Fan und habe nicht eine einzige Platte von ihm. Als er seine größten Erfolge feierte, war ich noch zu klein, meine erste Single war von den Lords, und so ab zwölf habe ich mich ausschließlich für Deep Purple und Uriah Heep und Nazareth interessiert. Elvis war so egal, dass ich mir noch nicht einmal Gedanken darüber gemacht habe, ob er cool oder uncool ist. Für mich war er ein übergewichtiger, schwitzender, älterer Typ in weißen Las-Vegas-Quatschanzügen, Überbleibsel einer vergangenen Zeit, einer, den die Eltern gut finden und dessen Musik schon längst keine Rolle mehr spielt. Außerdem hat er nicht einen einzigen Song selbst komponiert, in lächerlichen Idiotenfilmen mitgespielt und bei jeder Gelegenheit die amerikanische Flagge geschwenkt. Ich hab das alles nie verstanden, und es hat mich auch keinen Funken interessiert.
    Und jetzt steht die Welt still, so kommt’s mir jedenfalls vor.
    Plötzlich glaube ich zu wissen, warum: Elvis hat jenseits von schlechten Filmen, geschmackloser Kleidung und verstaubten Hits etwas bedeutet , er war ein guter Geist, der dafür sorgte, dass die Welt sich weiterdreht, er war der erste und größte Rock- und Popstar der Welt, der größte Pop- und Rockstar aller Zeiten, es wird nie wieder einen geben wie ihn, so wie es auch nie wieder eine Band wie die Beatles geben wird. Aber sogar die Beatles, die alle ihre Songs selbst geschrieben haben, stehen unter Elvis. John Lennon hat eine Lederjacke getragen, auf deren Rückseite in riesigen Lettern ELVIS stand, eine Spezialanfertigung, John Lennon hat sich vor Elvis verneigt, und die ganze Welt sollte es wissen. Elvis hat nicht nur so getan, als wäre er der King, er war es wirklich. Und ein König setzt Maßstäbe, nach denen sich alle anderen zu richten haben, lächerliche Würmer wie die Rolling Stones oder Pink Floyd oder Grateful Dead oder Deep Purple oder Uriah Heep oder Nazareth.
    Wie soll es jetzt bloß weitergehen?

    Während des Frühstücks sickern immer mehr Details über die Umstände seines Todes durch: Mutterseelenallein soll er in seinem Badezimmer krepiert sein, den Bauch aufgebläht von Tabletten, Burgern und vertrockneter, alter Scheiße. Der King an Verstopfung gestorben, wimmernd verendet, kann man sich nicht vorstellen, kann sich kein Mensch vorstellen! Wie er sich die ganzen Jahre gequält haben muss. Wenn einer ein Lied davon singen kann, dann ja wohl ich! In seinem weißen Karateanzug, den Hosenboden braun von Scheiße, hat er über der Kloschüssel gekniet und war bereits zu schwach, um noch Hilfe zu rufen. In seinen letzten Minuten konnte er wahrscheinlich gar nicht glauben, dass es das jetzt tatsächlich gewesen sein soll.
    Bimmel bimmel. Badezeit. Die Erwachsenen versammeln sich am Strand, eine stille Feierstunde zu Ehren des Kings, Totenmesse an der Ostsee. Selbst die Vögel haben zu schnattern aufgehört. Stimmt natürlich nicht, aber egal. Schrader sitzt zusammengesunken auf der Bank und raucht eine LUX nach der anderen. Was für ein Verhältnis er wohl zu Elvis hatte?
    Ich blicke in den tiefhängenden Himmel. Irgendwo da oben ist Elvis, aufgestiegen, befreit von den Qualen der irdischen Existenz, erlöst von Erfolgsdruck, Colonel Parker und Verstopfung.
    Tiedemann behauptet, Elvis wäre ermordet worden. So ein Scheiß. Typen wie
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