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Fleckenteufel (German Edition)

Fleckenteufel (German Edition)

Titel: Fleckenteufel (German Edition)
Autoren: Heinz Strunk
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wo kommt das nur alles her? Ich habe doch nichts Besonderes gegessen: rote Paprikaschoten, gefüllt mit Hack, als Beilage Reis, zum Nachtisch Rhabarberkompott. Wahrscheinlich ist es der Rhabarber, Scheißrhabarber, Armeleuteessen. Arme Ritter, Milchreis, Russischbrot, Russischei, Wassereintopf. Unsere Oma isst am liebsten Eingebrocktes, jeden Morgen, seit fünfzig Jahren oder so, da könnte sie sich reinsetzen, sagt sie immer. Eingebrocktes ist in heißem Kaffee aufgelöstes altes Brot. Oma ist morgens immer als Erste wach, Eingebrocktes schlürfen ist für sie die größte Freude überhaupt. Bevor sie sich die heiße Plörre ins Gesicht löffelt, nimmt sie immer das Gebiss raus, wahrscheinlich, weil der Speisebrei so besser die Mundhöhle flutet: Jede einzelne Geschmacksknospe saugt sich voll wie ein Schwamm, mehr Genuss geht nicht. Das Gebiss nimmt Oma natürlich nur raus, wenn sie glaubt, alleine zu sein, sie ist ja nicht bescheuert. Bei Oma schmeckt die Schlagsahne nach Wasser, der Weißwein nach Fisch, und die Bierkrone riecht ein bisschen nach Kotze.

    Pfffffffkkkkkkkrrrrrrrräää. Ganz heiß und feucht, ich muss echt aufpassen, das klingt nach den Vorboten von Sturzdurchfall, und den kann man nicht mehr kontrollieren, kein Mensch kann das. Puuuäääääärrrrääää. Jetzt mischt sich in den Mief noch was Verdorbenes. Der Geruch ist kurz davor, endgültig umzukippen, wie Milch, die von einer Sekunde zur anderen sauer wird. Das kann selbst ich bald nicht mehr aushalten.

    QUIITTSCHKNNRRR. Ach du Elend. Begleitet von lautem Knarzen und Knörzen, öffnet sich die Tür des Gemeindehauses. Ich drehe mich um und schaue nach oben. Da steht sie, wie aus Stein gemeißelt, hochgewachsen, starr und streng: Frau von Roth, die Frau des Küsters. Sie schaut mich an, ohne eine Miene zu verziehen.
    «Guten Tag, Thorsten.»
    «Ach, guten Tag, Frau von Roth.»
    Es stinkt immer noch bestialisch, aber sie lässt sich nichts anmerken. Eiserne Selbstbeherrschung, Contenance nennt man das in Adelskreisen. Frau von Roth entstammt einem verarmten Adelsgeschlecht, Pommern oder Schlesien oder so, und hat diese typische Adelsfresse, den Zug , den irgendwie alle Adligen im Gesicht haben, wahrscheinlich infolge jahrhundertelanger Inzucht. Sie leidet, glaube ich, sehr darunter, dass es bei ihr nur zur Küstersfrau gelangt hat. Und jetzt so was, das Ende eines langen Abstiegs.
    «Du bist ja ziemlich früh dran.»
    «Ja, stimmt, tut mir leid.»
    Tut mir leid, so was Bescheuertes!
    Ihre feinen Gesichtszüge sind erschlafft und von geplatzten Äderchen übersät. Das schwarze Haar ist so schwarz, dass es dunkelviolett schimmert.
    Der Gestank will sich einfach nicht verziehen. Wahrscheinlich hängt der Miefkern gerade in Höhe ihres königlichen Gesichts. Frau von Roth würde so etwas nie offen ansprechen, niemals. Aber trotzdem muss sie wie alle anderen auch ihre wahnsinnigen Aggressionen loswerden, und sie hat sich für solche Gelegenheiten ein richtig hartes, strafendes Gesicht antrainiert, ein Kleine-Leute-Hassgesicht. Sie bleibt in der Tür stehen und kostet meine Scham richtig aus. Ich spüre, wie meine Wangen glühen und ich gleichzeitig sauer werde. Tut so, als hätte sie in ihrem ganzen Leben noch nichts ausgeschieden! Blitzschnell rechne ich hoch, wie viel Kacke Frau von Roth in ihrem bisherigen Leben schon ausgeschissen hat: Fußballfelder. Ganze Strände. Ja, Frau von Roth, mir kannst du nichts vormachen, ich weiß Bescheid. Bestimmt hat sie irgendwelche verbotenen Leidenschaften. Gerade die besonders Disziplinierten sind in Wahrheit die Allerschlimmsten: Strullerpartys, Schlickspiele. Moorbäder. Brauner Salon. Luke zwo.
    Egal, ich kann’s drehen und wenden, wie ich will, etwas Peinlicheres ist mir im Leben noch nicht passiert. Außer vielleicht das eine Mal, als mich meine Mutter beim Wichsen erwischt hat. An sich schon unfassbar peinlich, aber ich habe auch noch den Namen meines Klassenkameraden Andreas gestöhnt. «Andi, o Andi, bitte, bitte», oder so ähnlich. Auch noch schwul, was kommt als Nächstes? Die Geschichte ist schon länger her, aber die Scham bleibt auf ewig konserviert. Wo nimmt sie nur ihre Lebendigkeit her, die Scham? Egal.
    «Andi, bitte, ja, Andi.» Ausgerechnet Andreas. Sein plattes, ausdrucksloses, ewig käseweißes Gesicht mit den leicht hervorquellenden Augen und den seltsam roten Lippen ist alles andere als hübsch, und die kurzgeschnittenen Locken sehen aus, als trage er eine Omadauerwelle. Außerdem
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