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Fleckenteufel (German Edition)

Fleckenteufel (German Edition)

Titel: Fleckenteufel (German Edition)
Autoren: Heinz Strunk
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Gedanken und willigte ein. Kurz darauf zog Änne mit Sack und Pack in sein Hexenhäuschen. Die beiden älteren Herrschaften verstanden sich hervorragend. Jeden Tag verbrachten sie zusammen, sie tranken Tee oder Kaffee, gingen spazieren, plauderten wie die Waldspatzen, und am Wochenende unternahmen sie Ausflüge im Kadettauto.
    Nach einem halben Jahr verliebte sich Onkel Johnny in Oma Änne.
    Es war das allererste Mal in seinem Leben. Er wusste überhaupt nicht, wie er damit umgehen sollte, und beschloss, es für sich zu behalten, weil er dachte, es würde bald wieder vorbeigehen. Aber das Gegenteil trat ein: Mit jedem Tag liebte er sie mehr. Er konnte nicht mehr richtig essen und schlafen und lachte auch nicht mehr so laut, um die geliebte Person nicht zu erschrecken. Er schälte Kartoffeln, goss Blumen und tat noch andere Dinge, die früher undenkbar gewesen wären. Schließlich hielt er es nicht mehr aus und gestand Änne seine Liebe, wobei er fest damit rechnete, dass sie ihn auslachen und so schnell wieder ausziehen würde, wie sie eingezogen war. Doch auch Oma Änne empfand große Zuneigung für den mächtigen Mann. Sie sprach beruhigend auf ihn ein und tätschelte die riesigen Pranken des zwei Meter zwei großen Sattlermeisters. Alles hätte nun gut werden können, aber dann veränderte sich Johnny: Er wurde oft krank, war schon am Vormittag müde und verlor in kurzer Zeit zwanzig Kilo.
    Die Liebe war zu stark für ihn. Sie hatte ihn komplett überwältigt und aus seiner soliden Onkel-Johnny-Verankerung herausgerissen. Änne beobachtete die Entwicklung mit großer Sorge und musste hilflos mit anschauen, wie Johnny verzweifelt versuchte, seiner Gefühle Herr zu werden und wieder auf die Beine zu kommen. Tagsüber ging er jetzt immer öfter in seine verwaiste Werkstatt und bastelte irgendwas, abends saß er neben Änne auf dem Sofa, massierte ihre Füße, kraulte sie am Nacken und schaute sie stundenlang an. Diese Liebe war zu viel für einen einzigen Menschen, sie hätte für eine ganze Kompanie deutscher Landser im Zweiten Weltkrieg ausgereicht. Der mächtige, stolze Mann war gleichsam auf einer Eisscholle ins Meer hinausgetrieben, und nichts auf der Welt konnte ihn von dort zurückholen. In tiefster Not saß Onkel Johnny nun manchmal tagelang in der leeren Sattlerei, ohne ein Wort zu sprechen. An einem kalten Januartag verschwand er und wurde nur durch Zufall zwei Wochen später in einem kleinen Wäldchen ganz in der Nähe des Hauses gefunden. Nach seiner Genesung wurde er in ein Pflegeheim verbracht, in dem er bis zu seinem Tode lebte. Oma Änne besuchte ihn, sooft sie konnte. Sie verbrachte ganze Tage an seinem Bett, streichelte seine Hand, küsste ihn auf die Stirn und sang ihm Lieder vor. Johnny schaute Änne dabei die ganze Zeit aus diesen unendlich liebevollen Augen an, und die beiden Alten weinten zusammen. Die Liebe war zu spät gekommen, um ihnen noch Glück zu bringen.

    Ich gehe ein letztes Mal an den Strand. Das Gewitter ist weitergezogen, aber kühl ist es geworden, sehr kühl sogar. Was wird eigentlich mit dem übriggebliebenen Saufkram? Wer nimmt was mit? Werde ich Heiko wiedersehen? Oder Roland? Wie geht’s mit Tiedemann weiter, macht er seine Ankündigung wirklich wahr und zieht mit den Deadheads mit? Und Susanne, läuft da vielleicht doch noch was irgendwann? Ich werde einfach so lange warten, bis sie verblüht ist, in zehn, zwanzig Jahren, dann bin ich am Drücker. Das Äffche! Von wegen. Ausgewachsen. Klarer Blick, volle Haare, stattliche Figur. Wenn ich dann ihr hefiges Backengesicht in meinen Händen halte und ihre vertrockneten Lippen küsse, denke ich an damals zurück, vielleicht funktioniert so was ja, dass man sich in ein früheres Bewusstsein zurückversetzen kann. Fragen über Fragen.
    Badezeit fällt aus.
    Andacht.
    Essen.
    Schlafen.
    Ich bringe Tiedemann die Bukowskibücher zurück, dann stoßen Heiko und Roland zu uns, und wir unterhalten uns. Niemand sagt etwas Verbindliches, von wegen dass es ganz toll war, Versprechungen, Verabredungen, Schwüre, nichts. Nach einer Stunde löst sich die Runde auf, wahrscheinlich für immer. Na ja, vielleicht auch nicht; wenn zu Hause die Stimmung wieder besser ist, treffen wir uns sicher mal alle Mann hoch und reden über alte Zeiten.

    Die Spastis ratzen schon. Ich verstehe das nicht: Wie kann man am letzten Abend bereits um zehn im Schlafsack liegen und pennen, als ob nichts geschehen wäre?

    Mitten in der Nacht wache ich schweißgebadet
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